Autobahnen in Italien:Rom droht mit Verstaatlichung

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Nach dem Brückeneinsturz in Genua streitet Italien über die Schuld und stellt die Privatisierung von Infrastruktur infrage.

Von Sebastian Schoepp, München

Während Rettungskräfte in Genua noch nach Überlebenden des Brückeneinsturzes suchen, ist in Italien ein heftiger Streit um die Verantwortung für die Katastrophe entbrannt. Im Kern ging es um die Frage, ob wichtige Infrastruktur in private Hände gehört. Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio übte scharfe Kritik an den Autobahnbetreibern und drohte mit Verstaatlichung der Straßen. Obwohl die genaue Ursache ungeklärt ist, warf Di Maio dem Betreiber Autostrade per l'Italia vor, die Brücke nicht ausreichend gewartet zu haben. Der Aktienkurs des Mutterkonzerns Atlantia, der zu Benetton gehört, sackte um ein Viertel ab.

Bei dem Unglück sind mindestens 38 Menschen umgekommen. Die italienische Agentur Ansa zitierte am Donnerstag Oberstaatsanwalt Francesco Cozzi mit dieser Angabe. 16 Menschen wurden verletzt, neun von ihnen schwer. Retter suchten am Donnerstag bis zu 20 Vermisste, die in den Trümmern der eingestürzten Brücke liegen könnten. Die Bergung ist schwierig, weil die noch stehenden Teile einsturzgefährdet sind. Mehr als 600 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Es ist unklar, ob sie je zurückkehren können, weil einige Gebäude möglicherweise abgerissen werden müssen, wie Genuas Bürgermeister Marco Bucci sagte. Für Samstag, an dem die Toten beigesetzt werden sollen, ist in Italien Staatstrauer angeordnet.

Die Regierung aus Lega und Cinque Stelle tat derweil alles, um schnell Schuldige zu präsentieren. Innenminister Matteo Salvini von der Lega gab der EU eine Mitschuld und verwies auf die Sparprogramme. EU-Kommissar Günther Oettinger konterte, Italien habe Milliarden für die Infrastruktur bekommen. Premier Giuseppe Conte kündigte an, die Regierung werde von Betreiber und Wartungsfirmen Schadenersatz verlangen, noch ehe die Schuldfrage geklärt sei. "Wir können nicht auf die Justiz warten", sagte er. "Alle Bürger müssen sicher reisen können."

Autostrade per l'Italia erklärte, die Brücke sei vorschriftsmäßig "vierteljährlich" mit Hightech-Methoden überprüft worden. Da sie Teil des europäischen Fernstraßennetzes war, unterlag sie Sicherheitsauflagen der EU. Der Atlantia-Konzern, zu dem Autostrade per l'Italia gehört, betreibt auch Flughäfen wie Roma Fiumicino. Vize-Ministerpräsident Di Maio von den Cinque Stelle gab der sozialdemokratischen Vorgängerregierung von Matteo Renzi eine Mitverantwortung. Diese habe die Konzession 2015 quasi über Nacht in einem "Adhoc"-Gesetz verlängert. Benetton habe dafür den Wahlkampf der Sozialdemokraten mitfinanziert. Renzi antwortete, "wer sagt, ich hätte Geld von Benetton genommen, ist technisch gesprochen ein Lügner."

Für Europas Verkehrswege ist der Einsturz der Brücke ein Problem. Sie verbindet Italien mit Südfrankreich, gerade zur Urlaubszeit müssen Autofahrer große Umwege machen. Genuas Hafen befürchtet ein wirtschaftliches Desaster. In Deutschland drang der Bundesverband der Deutschen Industrie auf schnellere Brücken-Modernisierung.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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