Außenansicht zur Situation in Tibet:Geiseldiplomatie der Kommunisten

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Wie die Machthaber in Peking einheimische Kritiker drangsalieren und mit der Weltöffentlichkeit spielen - der politische Kommentator und Autor Liu Xiaobo über die Lage in Tibet.

Als die chinesische Regierung im Jahr 2001 ihre Bewerbung zur Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2008 präsentierte, machte sie einige ungewöhnliche Versprechungen: eine Verbesserung der Menschenrechtslage und mehr Pressefreiheit.

Tibeter demonstrieren in Katmandu in Nepal. (Foto: Foto: AP)

In den vergangenen sieben Jahren wurden diese Versprechungen aber auf ziemlich spektakuläre Weise gebrochen. Gerade die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ist ironischerweise selbst eine der Hauptursachen für die sich verschlechternde Menschenrechtssituation.

Aus Peking werden Bettler verjagt

Erstens hat die Regierung Häuser niedergerissen und ihre Bewohner gewaltsam umgesiedelt, um einige der riesigen olympischen Wettkampfstätten zu errichten. Zweitens hat sie eine Pressekampagne in Auftrag gegeben, um den Ruhm durch die Olympischen Spiele zu betonen, um jegliche Kritik aus dem Inland zu unterdrücken, und um sich gegen "negative Berichterstattung" der ausländischen Presse zu wehren.

Drittens intensivierte sie die Verfolgung von Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten und "Antragstellern" - also von Menschen, die nach Peking reisen, um Wiedergutmachung für erlittene Schäden einzufordern. So wurden Schreiber eingesperrt, die Dörfer von Beschwerdeführern "gesäubert" und Bettler aus Peking verjagt.

Richtigerweise hat die internationale Gemeinschaft diesen Menschenrechtsverletzungen mehr und mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die Forderungen, Peking solle sich an seine Versprechen halten, sind lauter geworden - und sie werden in China gehört und begrüßt.

Die Olympischen Spiele sind, was das Ansehen der Regierung von Hu Jintao betrifft, ein Großprojekt. Um die Spiele so glatt und prachtvoll wie möglich über die Bühne zu bringen, tut die Kommunistische Partei alles, um Kritik aus dem In- und Ausland zu dämpfen.

Auf der einen Seite lockern, auf der anderen verschärfen

Sie präsentiert sich der Welt von ihrer schönsten Seite, während sie auf heimische Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten und Nichtregierungs-Organisationen die Strategie der gleichzeitigen Verschärfung und Lockerung anwendet. Der Verschärfungs-Teil zielt auf die Bestrafung von "Unruhestiftern" ab. Jeder, der es wagt, sich gegen die Pläne der Partei zu stellen, soll dadurch eingeschüchtert werden.

Jüngstes Beispiel ist die Inhaftierung von Hu Jia und Lü Gengsong. Beide wurden absurderweise wegen "Anstiftung zum Umsturz der Regierung" beschuldigt. Der Lockerungs-Teil der Strategie - jüngst illustriert durch die Freilassung des inhaftierten Hongkonger Journalisten Cheng Xiang - zielt auf die internationale Gemeinschaft.

Symbolhafte Freilassungen sollen das Bild vom unterdrückenden Charakter der KP aufweichen. Die willkürliche Inhaftierung von Gengsong und die ebenso willkürliche Freilassung Cheng Xiangs geschahen am gleichen Tag - dem 5. Februar 2008. Die Freilassung von Cheng wurde in die ganze Welt übertragen, die Festnahme von Lü hingegen nicht.

Die chinesische Regierung behauptet zwar, eine "Politisierung" der Spiele abzulehnen. Aber ihre Taten und Worte in Bezug auf Olympia sind selbst hochgradig politisch. Am 15. Februar sagte Xi Jinping, ein Mitglied des ständigen Komitees von Chinas Politbüro und vermutlich der nächste Präsident des Landes, vor Journalisten, das Ausrichten der Olympischen Spiele sowie der Paralympics 2008 sei "ein Großereignis für unsere Partei".

Beamte in ganz Peking sind mit der "politischen Aufgabe" betraut worden, die Spiele zu einem Erfolg zu machen. Diese Bemühungen schließen konsequenterweise Verschärfungen im eigenen Land ein - während man sich nach außen von seiner besten Seite zeigt.

Solange die chinesische Regierung Artikel von Dissidenten als potentiell kriminell einstuft, bedeutet die Freilassung einiger politischer Gefangener noch keine ernsthafte Verbesserung der Menschenrechte in China. Sie zeigt nur, dass die Kommunistische Partei "Geiseldiplomatie" spielt - ein Spiel, in dem jemand festgehalten wird, damit später eine "Gutschrift" beansprucht werden kann, wenn er freigelassen wird.

Dieses Spiel, so albern es auch sein mag, hatte in der Vergangenheit viele Male das Ergebnis, dass der internationale Druck auf China verringert wurde. Chinesische Gefängnisse laufen nie Gefahr, zu wenige politische Häftlinge zu haben, welche die Behörden auf diese Art verwenden können. Während ich diesen Artikel schreibe, sitzen 80 Menschen in chinesischen Gefängnissen, die dafür "verurteilt" wurden, Artikel in Zeitungen und im Internet veröffentlicht zu haben. Diese Zahl schließt politische Gefangene andere Art nicht ein.

Wenn es eine gute Seite an dieser Geschichte gibt, dann die, dass Peking ernst nimmt, was die internationale Gemeinschaft denkt. Chinas Regierende schenken den Rufen aus der internationalen Welt des Sports, der Wirtschaft, der Kunst und von westlichen Parlamenten, Kongressen und Menschenrechts-Organisationen große Aufmerksamkeit.

Die größte Aufmerksamkeit schenken sie den Ansichten von Staatschefs der großen westlichen Länder. Wenn westliche Politiker der chinesischen Regierung in diesem entscheidenden olympischen Jahr nachgeben, verhalten sie sich unverantwortlich. Sie machen sich - ob sie es merken oder nicht - zu Komplizen bei der Verletzung von Menschenrechten. Demgegenüber waren die klaren Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Menschenrechten verantwortungsbewusst, erfrischend und vor allem wirkungsvoll. Ich danke ihr dafür.

Übersetzung: Frederik Obermaier

© SZ vom 20.03.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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