Außenansicht:Wir haben verstanden Juden sollen wieder missioniert werden, Erzreaktionäre dürfen zurück in die Kirche - das eindeutige Pontifikat von Benedikt XVI. Von Walter Homolka

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Unverständnis überall erntet Benedikt XVI. für seinen Kurs, mit dem er jetzt das Ansehen der katholischen Kirche gefährdet. Schuldige werden gesucht. Welcher Kurienkardinal hat dem Papst zu welcher Zeit was vorenthalten oder nicht? Kardinal Walter Kasper lässt verlauten, in der Kurie seien "Managementfehler" gemacht worden. Kardinal Karl Lehmann rückt die Kommunikationsfehler des Vatikans in den Vordergrund und sagt, die Kurie habe die politischen Zusammenhänge und Verflechtungen zu wenig beachtet. Ihm tut Joseph Ratzinger angesichts seiner "lauteren Absichten" leid, denn der Papst könne die Äußerungen Richard Williamsons unmöglich gekannt haben. Aber keinesfalls solle die Karfreitagsfürbitte Benedikt XVI. vom vergangenen Jahr im Zusammenhang mit seiner Öffnung gegenüber den Traditionalisten gesehen werden. Also alles eine Panne und ein Missverständnis?

Das ist kaum zu glauben. Dass die Rücknahme der Exkommunikation für die vier Traditionalisten-Bischöfe bevorstand, war im Vatikan und unter Insidern schon seit längerem bekannt. Auch konnte seit Jahren niemandem verborgen bleiben, wes Geistes Kind die Anhänger des 1991 verstorbenen Bischofs Marcel Lefebvres sind. Am 29. August 2005 hatte Benedikt XVI. den Generaloberen der Lefebvristen, Bernard Fellay, zusammen mit seinem deutschen Statthalter Franz Schmidberger empfangen. Im Interview danach beharrte Fellay auf der Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, einer Anprangerung der "Diktatur des Relativismus" in der gegenwärtigen Kirche und der "schleichenden Apostasie Johannes Pauls II.", eines Abfalls vom Glauben also. Wie wir Juden einzuordnen sind, sprach Schmidberger im Dezember in einem Brief an die deutschen Bischöfe aus: "Die Juden unserer Tage" seien "nicht nur nicht unsere älteren Brüder im Glauben, sie sind vielmehr des Gottesmordes mitschuldig, solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren."

Schlimm, dass dieses Denken heute von ganz oben wieder hoffähig gemacht wird. Noch schlimmer, dass die Missionierung von Juden in der katholischen Kirche eine konkrete Option geworden ist. Unter Benedikt XVI. ist der christlich-jüdische Dialog um 50 Jahre zurückgefallen - zu diesem Urteil kam der Rabbiner von Venedig, Elio Enrico Richetti, bereits wenige Tage bevor der Papst die Lefebvre-Bischöfe rehabilitierte. Der gegenwärtige Papst halte diesen Dialog für unnütz, er wolle lieber, dass die Überlegenheit des christlichen Glaubens bezeugt werde. Richetti kommentierte damit die Entscheidung der italienischen Rabbinerkonferenz, in diesem Jahr beim "Tag des Judentums" nicht mitzuwirken, der in der katholischen Kirche Italiens immer am 17. Januar begangen wird.

Schon die Wiederzulassung der alten tridentinischen Messe als "außerordentliche Form" im Juli 2007 hatte schwere Irritationen bei uns Juden ausgelöst. Kommen damit die alten Absolutheitsansprüche der katholischen Kirche wieder? Darüber hinaus nahmen wir Anstoß an der Karfreitagsfürbitte für die Juden, die seit jeher Teil der katholischen Karfreitagsliturgie ist. Ihre persönliche Umformulierung des Textes durch Benedikt XVI. im Februar 2008 hat sie noch schlimmer gemacht. Jetzt lautet ihr Text: "Wir wollen auch beten für die Juden, dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen als Heiland aller Menschen."

Empörung war die Folge, die Kurie war lange damit beschäftigt, die Wogen zu glätten. Kardinal Walter Kasper versicherte im Nachhinein, die katholische Kirche wolle keine aktive Missionierung der Juden und rückte das Ganze ins Endzeitliche. Das waren ehrenwerte Versuche, die unter Juden zwar mit Respekt aufgenommen wurden, aber keineswegs den Eindruck verwischen konnten: Aus Sicht des Papstes ist das heutige Judentum defizitär. Es war auch wenig hilfreich,dass Kardinal Lehmann sich in seinem Bistumsblatt zu der Aussage verstieg, die jüdische Reaktion sei uninformiert, übereilt und emotional. Sind wir alle nur Mimosen? Als höhnisch müssen Juden es empfinden, wenn ausgerechnet im Umfeld von Karfreitag und Ostern die Katholische Kirche wieder für die Erleuchtung der Juden bittet, damit wir Jesus als Heiland erkennen. Solche theologischen Aussagen werden in einem Kontext getroffen, der eng verbunden ist mit Diskriminierung, Verfolgung und Tod, und das um unseres vermeintlichen "Seelenheils" willen. Jetzt zeigt sich: Wir Juden haben seit 2007, seit der Wiederzulassung der alten Messe, sehr genau gesehen, wo die Reise hingeht. Es ist eben kein Betriebsunfall der Kurie, dass Benedikt nun vier Bischöfe der ultra-konservativen Pius-Bruderschaft rehabilitiert. Er kommt dem rechten Rand im Klerus immer weiter entgegen.

Es geht nicht darum, dass Bischof Richard Williamson, der Holocaust-Leugner, ein eklatanter Volksverhetzer ist. Es geht auch nicht darum, dass seine Rehabilitierung unmittelbar vor dem 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, geschah, was das deutsche Episkopat noch in letzter Minute zu verhindern versuchte. Es geht darum, dass der Papst Abtrünnige und Rückwärtsgewandte ohne jede Vorbedingung in den Schoß der Kirche zurückkehren lässt. Weit weniger Großmut erfuhren kluge Theologen wie Hans Küng oder die Kirchen der Reformation im ökumenischen Gespräch.

Die vage Solidaritätsadresse Benedikts XVI. in der Generalaudienz vom vergangenen Mittwoch hat niemanden befriedigt. Denn um Solidarität geht es uns ja nicht. Niemand glaubt ernsthaft, der Papst leugne den Holocaust oder schätze jüdische Menschenleben gering. Uns Juden geht es um die gleiche Augenhöhe und um die Selbstachtung gegenüber einer Kirche, die jahrhundertelang große Schuld auf sich geladen hat. In den siebziger Jahren hatte Kardinal Walter Kasper den Standpunkt vertreten, dass keine Notwendigkeit bestehe, Juden zu missionieren, weil sie eine authentische Offenbarung besitzen und aus der Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils im Bund mit Gott bleiben. Kasper ist heute noch für die Beziehungen des Vatikans zu den Juden zuständig. Konsultiert wurde er weder bei der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte noch bei der Aufhebung der Exkommunikation für die vier Lefebvre-Bischöfe. Das Wort des deutschen Bischofs-Vorsitzenden Robert Zollitsch vom Katholikentag 2008, es werde keine Wende der Wende geben - dieses Wort hat nicht weit getragen.

Der Rabbiner Walter Homolka ist Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, des Rabbinerseminars an der Universität Potsdam, und Honorarprofessor der Philosophischen Fakultät.

Foto: oh

© SZ vom 04.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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