Aussenansicht:Die Tücken der Transparenz

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Die Piraten sind aus dem letzten Landtag verschwunden. Sie sind an ihrem Anspruch gescheitert, alles öffentlich machen zu wollen.

Von Stefan Kühl

Vor wenigen Jahren galt die Piratenpartei als die vielversprechendste Neugründung in der Parteienlandschaft. Zielsicher besetzten sie das Thema der Netzpolitik, als manche Politiker anderer Parteien noch damit beschäftigt waren, zu begreifen, wie ihr Internetanschluss funktioniert. Aber die Euphorie ist schon seit einiger Zeit vorbei. Mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist die Piratenpartei jetzt aus dem letzten deutschen Landtag geflogen. Sicherlich, die fehlende Repräsentanz in Parlamenten ist allein noch kein ausreichendes Indiz für den Niedergang einer Partei. Aber der erhebliche Verlust von Parteimitgliedern in den vergangenen Jahren, darunter auch fast die Hälfte ihrer ehemaligen Bundesvorsitzenden, ist ein deutliches Zeichen.

Man könnte den Niedergang der Piratenpartei als das ganz normale Scheitern von Parteineugründungen in der Bundesrepublik Deutschland verstehen. Bis auf die Grünen ist es keiner neu gegründeten Partei gelungen, sich in den Landtagen und im Bundestag zu etablieren. Wer erinnert sich heute noch an ursprünglich als erfolgversprechend gehandelte Projekte wie die Gesamtdeutsche Partei, die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher, die Demokratischen Sozialisten, die Partei rechtsstaatliche Offensive, die Republikaner oder die Deutsche Volksunion?

Parteien entstehen in den meisten Fällen aus politischen Bewegungen heraus. Die ursprüngliche Attraktivität dieser politischen Bewegungen - ob sie sich nun für Umweltschutz, Weltfrieden, Frauenrechte, Netzpolitik, christlichen Fundamentalismus oder völkische Homogenität einsetzen - liegt in den Möglichkeiten, sich vergleichsweise unkompliziert für eine "gute Sache" zu engagieren. Relativ schnell durchlaufen politische Bewegungen jedoch einen Prozess der "Verorganisierung". Es werden Bürgerinitiativen gegründet, Dachverbände gebildet und Parteien ins Leben gerufen. Man wird in Machtkämpfe hineingezogen, bekommt es mit sich verkrustenden Strukturen zu tun, und das Interesse an der Sache wird immer mehr durch ein Interesse an politischer Karriere, öffentlicher Aufmerksamkeit und Nebenverdiensten überlagert.

Die Geschichte der Piratenpartei ist deswegen interessant, weil sich in ihr aufgrund ihrer Ansprüche an interne Transparenz die Probleme noch einmal verschärft haben. Der Anspruch der Piratenpartei ist absolute Transparenz nach innen und nach außen. Debatten sollen nicht im stillen Kämmerlein geführt werden, sondern von allen nachvollzogen werden können. Das "Transparenzprunkstück" der Landtagsfraktionen der Piraten waren die per Livestream übertragenen Fraktions- und Arbeitskreissitzungen. Der Anspruch an interne Transparenz führte aber letztlich zu drei grundlegenden Problemen.

Es sollte keine Politik der Hinterzimmer geben. Tatsächlich wurde sie nur geschickt getarnt

Das Glaubwürdigkeitsproblem: Das Ergebnis der Bemühungen um interne Transparenz war nicht das erhoffte Verschwinden einer politischen Hinterbühne, sondern im Gegenteil die Ausbildung einer geschickter versteckten Hinterbühne. Der Soziologe Leopold Ringel hat in einem gerade erschienenen Buch gezeigt, wie diese geschickt versteckte Hinterbühne in der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion der Piraten aussah. Es entstanden nicht für alle zugängliche Mailing-Listen, bei öffentlich gestreamten Sitzungen entwickelte sich eine Zeichensprache, mit der die Diskussion sensibler Themen gesteuert werden konnte, und brisante Themen wurden als datenschutzrechtlich relevant eingestuft, um sie jenseits öffentlicher Beobachtung diskutieren zu können. Diese Hinterbühne war sehr wohl funktional. In der Wahrnehmung der Basis entstand dadurch eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem offensiv vertretenen Transparenzanspruch der Partei und der faktischen Arbeit der Parteifunktionäre.

Das Zurechnungsproblem: Die Gründung der Piratenpartei war auch eine Reaktion auf die Verkrustung etablierter Parteien, in der Mitglieder erst eine jahrelange Ochsentour absolvieren müssen, bevor sie effektiv Einfluss auf parteipolitische Positionen nehmen können. Mit dem Konzept der "liquid democracy" - einer Art internetgestützter Mitgliederbeteiligung - wurden die inzwischen weitgehend verblichenen basisdemokratischen Ideale der Grünen in der Piratenpartei noch einmal radikalisiert. Das Bekenntnis zur Basisdemokratie ist jedoch immer auch ein Bekenntnis zur Schwächung der Vorsitzenden. Je mehr Basisdemokratie sich eine Partei gönnt, desto vielstimmiger erklingt sie auch. Diese Vielstimmigkeit aber wird schnell zur Kakofonie. Die Massenmedien suchen die Lautsprecher in der Partei aus, die nach ihren Kriterien die interessantesten Neuigkeiten bieten. So wird schnell das Getwitter einer Abgeordneten über geplatzte Kondome, negative HIV-Tests und parlamentarische Langeweile ausführlicher diskutiert als Gesetzesinitiativen der Partei zur Informationsfreiheit.

Das Integrationsproblem: Flügelkämpfe entstehen zwangsläufig in jeder Partei, die sich nicht auf ein sehr eng definiertes Wählerspektrum beschränken will. Während sich in den meisten etablierten Parteien ein mühsam ausgehandelter Modus Vivendi zwischen den verschiedenen Flügeln ausgebildet hat, sind neu gegründete Parteien durch heftiges Flügelschlagen gekennzeichnet. Ihr Überleben hängt dann davon ab, inwiefern sie in der Lage sind, die Flügelkämpfe zu kontrollieren. Der Anspruch der Piratenpartei ist es gewesen, alle politischen Debatten in der Öffentlichkeit zu führen. Es ist also nicht wie beispielsweise bei der AfD die Unfähigkeit, politische Kämpfe hinter verschlossenen Türen auszutragen, sondern der Anspruch, die Türen für alle weit offenzuhalten, der die Piratenpartei in die Bredouille gebracht hat, denn: Genau dieses Offenhalten von Türen führt zu einer Verschärfung der Konflikte. Eine Anekdote besagte, dass die Einzigen, die den Livestream der Fraktionssitzungen der Piraten regelmäßig verfolgten, Praktikanten der lokal ansässigen Zeitungen waren, die sofort berichten sollten, wenn sich interne Verwerfungen abzeichneten, aus denen sich Nachrichten generieren ließen. Öffentliche Berichterstattung über interne Auseinandersetzungen ist immer ein Konfliktverstärker, der durch die Partei selbst nur noch sehr begrenzt kontrolliert werden kann.

Die Piratenpartei ist letztlich an einem Dilemma gescheitert: Ihre Forderung nach mehr Transparenz von Verwaltungen, Polizeien und Unternehmen stößt auf breite Zustimmung in der Gesellschaft. Aber die Piraten mussten schmerzhaft lernen, dass sie diese Forderung nur hätten durchsetzen können, wenn sie in der eigenen Partei Transparenz in eher homöopathischen Dosen zugelassen hätten.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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