Ausnahmezustand in Heiligendamm:Deutschlands größter Polizeieinsatz

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Wenn sich im Juni die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen versammeln, verwandelt sich das mecklenburgische Heiligendamm in eine Festung: 16.000 Soldaten und zwei Kriegsschiffe vor der Küste sind im Einsatz.

Arne Boecker

Knapp zwei Monate vor dem G-8-Gipfel kann Knut Abramowski immer mehr Häkchen auf seiner Noch-zu-erledigen-Liste machen. Der 52-jährige Abramowski leitet seit ein paar Tagen offiziell "alle polizeirelevanten Ereignisse anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels", wie es in seinem Einsatzbefehl heißt.

Hauptquartier?

Zwei Wohn- und Büroblocks in Waldeck bei Rostock. In Abramowskis Planungsstab sitzen jetzt 350 Polizisten, die er in ganz Deutschland rekrutiert hat; bis zum Gipfel kommen noch einmal 200 hinzu. Einer der wichtigsten Punkte auf Abramowskis Liste heißt im Polizei-Jargon "technische Sperre" und meint den Metallgitterzaun um den Tagungsort Heiligendamm.

Die kilometerlange Zaun-Sperre schlängelt sich langsam der Fertigstellung entgegen.

Vom 6. bis 8. Juni werden die Polizeien des Bundes und der Länder sowie das Bundeskriminalamt versuchen, die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen gegen Demonstranten abzuschirmen; deren Zahl ist schwer vorauszusagen, dürfte aber in jedem Fall in die Zehntausende gehen. Das Grandhotel Kempinksi, in dem die Politiker unter anderem über Klimaschutz, Afrikahilfe und internationalen Finanzmarkt verhandeln, liegt in Heiligendamm, einem Ortsteil von Bad Doberan.

Die mecklenburgische Region zwischen der Hansestadt Rostock, in der große Demonstrationen geplant sind, und dem Ostseebad Kühlungsborn, das viertausend Journalisten ansteuern wollen, erlebt Anfang Juni den größten Polizeieinsatz, den es in Deutschland je gegeben hat.

Schutz auf dem Lande, auf dem Wasser und in der Luft

Insgesamt sollen 16.000 Sicherheitskräfte zum Einsatz kommen. Die Besondere Aufbau-Organisation (BAO) der Polizei, die den Gipfel schützt, untersteht Knut Abramowski; eigentlich leitet er die Polizeidirektion Rostock. "Kavala" nennt sich die BAO, nach einer griechischen Stadt, die wie Heiligendamm den Kosenamen "Weiße Stadt am Meer" trägt.

Einsatz an der Ostsee: Etwa 1000 Beamte des Bundeskriminalamtes schützen in den Gipfel-Tagen den Kern der Sicherheitszone, deren äußere Grenze der Zaun bildet. Dabei handelt es sich um das Grandhotel Kempinski. Hier wohnen George Bush, Wladimir Putin, Tony Blair und Co. Mecklenburg-Vorpommern beteiligt sich mit 2000 Polizisten am Gipfel-Schutz. Das ist ein Drittel aller Polizisten, die es im Nordosten gibt.

Andere Bundesländer helfen mit 13.000 Einsatzkräften. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel den Gipfel eröffnet, ist Heiligendamm gegen Störer, aber natürlich auch gegen Bürger abgeriegelt.

In der Luft: Die Flugverbotszone hat einen Durchmesser von 100 Kilometern. Auf dem Wasser: Niemand kommt näher als elf Kilometer an den Strand heran. Zu Lande: Der Zaun ist zweieinhalb Meter hoch und mit modernster Sicherheitstechnik ausgerüstet.

Sicherheitsexperten beschreiben die Lage derzeit so: Ja, Extremisten jedweder Couleur haben das Treffen der Weltenlenker als Ziel identifiziert.

Als Unbekannte die Fassade des Grandhotels Kempinski in der Nacht zum 29. Dezember 2006 mit Farbbeuteln bewarfen, hinterließen sie eine Drohung: "Wir kennzeichnen das Ziel des nächsten Jahres."

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), sprach auf einer Sicherheitskonferenz in Rostock von einer "breiten, auch militanten Kampagne". Ziercke fügte hinzu, dass das Gipfeltreffen "auch für islamische Terroristen interessant sein" könnte.

Die Sicherheitsexperten sagen aber auch: Nein, konkrete Hinweise auf Aktionen oder Anschläge im direkten Umfeld des Gipfels gibt es nicht. Alle bisherigen Attacken zielten auf Sachwerte wie Autos und Häuser, nicht aber auf Menschen.

Der Planungsstab von Knut Abramowski feilt derzeit daran, die reibungslose Abstimmung zwischen den Polizeien des Bundes und der Länder sowie dem Bundeskriminalamt zu sichern. Vorgespräche laufen schon seit eineinhalb Jahren.

Die Austragung des Gipfels kostet 92 Millionen Euro

Unklar ist, wie stark die ausländischen Gipfel-Teilnehmer in das Sicherheitskonzept eingreifen. Sie schicken eigene Kräfte nach Heiligendamm. So beordern die USA unter anderem zwei Kriegsschiffe - einen Kreuzer und einen Zerstörer - vor die mecklenburgische Küste.

Die jetzt schon massive Polizeipräsenz stößt in der Region gelegentlich auf Unverständnis. Die BAO Kavala versucht, mit Informationsabenden gegenzusteuern. Dieser Tage klingeln zudem Polizisten bei allen 291 Bewohnern des Ostseebades. Jeder bekommt einen Ausweis, der in der heißen Phase den Zugang zu Haus und Grundstück sichert.

Ab dem 30. Mai werden Heiligendammer und Besucher nur über zwei Kontrollstellen ("Rennbahn" und "Bollhagen") ins Ortsinnere gelangen; für den Transport innerhalb des Zauns stehen Busse bereit. Insgesamt kostet die Austragung des Gipfels mindestens 92 Millionen Euro. Allein der Bau des 13 Kilometer langen Zauns verschlingt zwölf Millionen Euro.

An Mecklenburg-Vorpommern bleiben vor allem jene etwa 34 Millionen Euro hängen, die Unterkunft und Verpflegung für auswärtige Polizisten verursachen. Das Land hatte versucht, dem Bund einen Teil dieser Kosten aufzubürden, war mit diesem Vorstoß in Berlin jedoch auf taube Ohren gestoßen.

© SZ vom 16.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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