Auslandsentführungen:Verschleppte Kinder - machtlose Mütter

Lesezeit: 3 min

Wenn ausländische Väter Söhne und Töchter in ihr Heimatland entführen, sind dem deutschen Staat oft die Hände gebunden. Diplomatie ist gefragt.

B. Schreiber

Am Dienstagabend wartete Gracia Kranz, 29, am Bremer Flughafen auf die Ankunft des Lufthansa-Flugs LH350. An Bord war ihr dreijähriger Sohn Faris, der vor dreieinhalb Monaten von seinem Vater, einem Tunesier, nach Nordafrika entführt worden war.

Wenn Kinder von ihren Vätern ins Ausland entführt werden, können Mütter oft nur wenig tun. (Foto: Foto: AP)

An Bord war auch die frühere Ausländerbeauftragte und grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Sie hat das Kind befreit, ohne ihre Hilfe wäre es Gracia Kranz so ergangen wie den meisten Müttern, die versuchen, ihr Kind aus einem arabischen Land zurückzuholen. Kranz wäre gescheitert wie viele deutsche und europäische Eltern, deren Partner ihre Kinder ins Ausland verschleppen und nie wiederkehren.

"1000 bis 1500 Kinder werden jedes Jahr entführt, knapp die Hälfte davon in Länder, deren Regierungen die Haager Konvention zur Kindesentführung nicht unterzeichnet haben. Das sind vor allem arabische Länder. Und nur etwa zehn Prozent dieser Fälle gehen gut aus", schätzt Christiane Hirts, Direktorin des europäischen "Committee for Missing Children".

Aufforderung zur gütlichen Einigung

Hirts betreut in Deutschland zur Zeit etwa 250 Eltern, deren Kinder ins Ausland verschleppt wurden. Sie kennt deren Verzweiflung genau, vor einigen Jahren musste sie selbst um ihr entführtes Kind kämpfen. Ohne eine Unterschrift unter die Haager Konvention zur Kindesentführung haben der deutsche Staat, das Auswärtige Amt, die Polizei, die Botschaften kaum eine rechtliche Handhabe.

So ist es auch in diesem Fall. Weder Kanzlerin Merkel noch Außenminister Steinmeier konnten ihre tunesischen Kollegen bisher zur Unterschrift bewegen. Das Auswärtige Amt muss sich in Fällen wie dem von Gracia Kranz meist damit begnügen, die Mütter in Briefen " ... zur gütlichen Einigung mit dem anderen Elternteil bzw. der väterlichen Familie" aufzufordern.

Das entscheidende Problem für Frauen wie Gracia Kranz ist: Wenn ein Tunesier außerhalb Tunesiens ein Kind zeugt, hat dieses automatisch auch die Staatsbürgerschaft des Vaters. Und sobald sich dieses Kind in Tunesien befindet, greift das islamische Familienrecht. Danach sind Väter traditionell die gesetzlichen Vertreter des Kindes, und sie dürfen gemäß dem islamischen Recht seinen Aufenthaltsort bis zur Volljährigkeit bestimmen.

Viele Mütter glauben, dass das deutsche Sorgerecht ihnen hilft, die Kinder zurückzuholen. Aber das ist ein Trugschluss, sagt die Münchener Rechtsanwältin Manuela Landuris, Expertin für tunesisches Familienrecht: Langwierige Verfahren vor Gericht sind nötig, und in der Regel wird verlangt, dass die Mütter dauerhaft in dem arabischen Herkunftsland des Vaters leben.

Gracia Kranz engagierte Rechtsanwälte in Deutschland und in Tunesien, bat in der Deutschen Botschaft um Hilfe und schrieb an Außenminister Steinmeier. Im Antwortbrief ließ er mitteilen, dass weder tunesische Behörden noch deutsche Diplomaten helfen würden: "Die Botschaft in Tunis kann nicht die Rückführung Ihres Sohnes gegen den Willen des Kindesvaters oder der väterlichen Familie durchsetzen."

Politischer Druck

Gracia Kranz musste erkennen, dass ihr privates Engagement ebenso wie staatliche Unterstützungsmöglichkeiten an die Grenzen internationalen Rechts gestoßen waren.

Die Lage veränderte sich erst, als Marieluise Beck sich einschaltete. Die frühere Ausländerbeauftragte der Bundesregierung und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, nutzte ihre Kontakte zu deutschen und tunesischen Diplomaten und Regierungsvertretern.

Nach einem Treffen mit einem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin bat dieser den tunesischen Botschafter zum Gespräch. Einige Tage danach reiste Beck nach Tunis und sprach mit der stellvertretenden tunesischen Außenministerin.

Schließlich machten die tunesischen Behörden der Familie des Entführers deutlich, dass ihr Land nicht an diplomatischen Verwicklungen mit Deutschland interessiert sei. Der tunesische Justizminister wies die Staatsanwaltschaft seines Landes an, das entführte Kind zu finden.

Die Verwandten seines Vaters versteckten es bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich, meist in Südtunesien, bei Angehörigen. Nach längeren Verhandlungen zwischen den tunesischen Behörden und der Familie beugte die sich schließlich dem wachsenden Druck. Sie willigte ein, den Jungen in Tunis zu übergeben. Am Montag bestieg er zusammen mit Beck und einem Verwandten, der in Deutschland lebt, das Flugzeug nach Bremen.

Wenn es nach Beck geht, soll sich künftig ein ständiger Krisenstab um Kindesverschleppungen ins Ausland kümmern. Der Grund: Mit der Zahl binationaler Partnerschaften wächst die Gefahr von Kindesentführungen. Außerdem soll das neue Gremium die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes entlasten. Nach Becks Angaben sind sie schon heute mit den aktuellen Fällen überfordert.

© SZ vom 20.11.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: