Auslandseinsätze:Wasser­tauglich

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Mit acht Knoten Geschwindigkeit in die eigene Zukunft: Die Tarbaja, ein ehemaliges kleines Wachboot der deutschen Marine, vor der Küste Libanons im östlichen Mittelmeer. (Foto: Mike Szymanski)

Zwölf Jahre operiert die Bundeswehr nun vor der Küste Libanons. Künftig soll sich das Land selber schützen - mit Schiffen wie der "Tabarja", die früher einmal "Bergen" hieß.

Von Mike Szymanski, Beirut

Das Meer meint es gut mit dem jungen Kommandanten Roy Harouni und seinem Schiff. Es könnte die Tabarja durchschütteln wie einen Korken, der achtlos ins Mittelmeer geworfen wurde. Aber es weht nur ein leichter Wind. Die Sonne scheint. Und die Wellen sind sanft.

Mit acht Knoten Geschwindigkeit arbeitet sich das ehemalige kleine Wachboot der deutschen Marine, das früher einmal Bergen hieß, vor der Küste Libanons durchs Wasser. Harouni, 28 Jahre alt, sonnengebräunte Haut und von schier unerschütterlicher Fröhlichkeit, hat mit seiner libanesischen Crew lange auf diesen Tag hingefiebert. "Wir haben geschuftet", sagt der Kapitän. "Drei Monate lang. Tag für Tag." Ab jetzt heißt es, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Wenige Hundert Meter hinter der Tabarja setzt die deutsche Korvette Magdeburg zum Überholen an. Es ist das letzte gemeinsame Manöver. Kommandant Harouni lässt seine Besatzung zum militärischen Gruß an Deck antreten und seine Mannschaft strammstehen. Sie nehmen Abschied von den deutschen Marinesoldaten, die ihnen all das beigebracht haben, was sie nun für ihre Arbeit brauchen werden. Künftig werden Harouni und die Tabarja mithelfen, die Küste Libanons selbst zu schützen.

Die meisten Schiffe sind Schenkungen anderer Länder. Keines ist wie das andere

Der Bundeswehreinsatz vor der Küste Libanons begann am 15. Oktober 2006. Im Sommer zuvor hatte ein kurzer, heftiger Krieg das kleine Land erschüttert. Mitglieder der radikalislamischen libanesischen Hisbollah hatten eine israelische Grenzpatrouille angegriffen und zwei Soldaten entführt. Daraufhin marschierten israelische Truppen in Libanon ein und blockierten auch die Seewege. Zwar herrschte ein Waffenstillstand, aber der war brüchig. Am Anfang stand für die Deutschen eine etwas sperrige Formulierung dessen, was auf die Marine zukommen sollte: "seeseitige Absicherung". Mit Blauhelmsoldaten waren die Vereinten Nationen (UN) in Libanon schon seit 1978 im Friedenseinsatz Unifil. Nach dem Konflikt 2006 wurde das Mandat erweitert: Ein maritimer Verband unter Führung der UN sollte nun den Seeweg kontrollieren und Waffenschmuggler aufhalten.

Die Deutschen waren von Anfang an dabei. Sie konnten helfen, den Frieden zu sichern, aber das Risiko, mit israelischen Soldaten in einen Schusswechsel zu geraten, war nicht allzu groß. Der Einsatz geht in eine Zeit zurück, in der in Deutschland die große Koalition noch unverbraucht war. Für Kanzlerin Angela Merkel sollte die Phase der außenpolitischen Bewährungsproben nun erst so richtig beginnen.

Schon damals gab es Bedenken: Der Einsatz könnte lange dauern. Aber zwölf Jahre? Als der Bundestag im Juni das Einsatzmandat wieder einmal um ein Jahr verlängerte, mahnte Barbara Hendricks (SPD), dies nicht nur als Routine zu betrachten.

Aber genau das ist es dann doch in all den Jahren geworden: Routine.

Im ersten Jahr hatte die Marine noch 960 Soldaten im Einsatz, stellte zwei Fregatten, zwei Schnellboote, einen Versorger, zwei Minenjäger und zwei Bordhubschrauber. Heute sind es gerade einmal 130 Männer und Frauen. Die Hälfte davon stellt die Crew der deutschen Korvette. Die übrigen Soldaten sind im Unifil-Hauptquartier in Naqura und im Camp Castle auf Zypern im Einsatz. Das Container- und Zeltlager im Hafen vom Limassol dient als Stützpunkt der Deutschen. Ihre Aufgabe hat sich gewandelt. Waffenschmuggel stellte sich schon bald nicht als das große Problem heraus - oder wurde es erst gar nicht. Die Monate vergingen, ohne dass überhaupt ein einziger Fall von Waffenschmuggel bekannt wurde.

Die Überwachung erfolgt lückenlos. Schiffe dürfen Libanon nur über festgelegte Korridore ansteuern. Wenn Waffen geschmuggelt wurden, dann geschieht dies eher über die fast 400 Kilometer lange syrisch-libanesische Landgrenze. Es ging der internationalen Gemeinschaft vor allem darum, Präsenz zu zeigen. Und Israel und Libanon wünschen den Einsatz.

Frieden sichern, das weiß man in Deutschland mittlerweile auch aus vielen anderen Auslandseinsätzen, bedeutet: Ausdauer mitzubringen. Denn es ist dabei wie mit einer sensiblen Pflanze. Sie geht ein, wenn sich abrupt die Bedingungen ändern. Also bleiben die Soldaten und beschützen, was durch ihre Anwesenheit erreicht wird. Oder wie es bei der Debatte im Bundestag hieß, in der sich nur die Linken und die AfD gegen die Mission aussprachen: Unifil sei "Garant des Waffenstillstandes". Ein stabiles Libanon ist für den Nahen Osten wichtig. Aber auch für Europa. Libanon beherbergt anderthalb Millionen Flüchtlinge bei etwa fünf Millionen Einwohnern.

Die Tabarja soll Hoffnung darauf machen, dass Libanon einmal in der Lage sein wird, seine Küste selbst zu schützen. Denn auch das gehört zum Auftrag der Bundeswehr: Sich durch Ausbildung und Aufbau der libanesischen Marine einmal überflüssig zu machen. Nur bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein. Da macht sich weder der Kapitän der Tabarja, Harouni, etwas vor noch Fregattenkapitän Sascha Zarthe, der deutsche Kontigentführer, der die libanesische Crew bei ihrer Ausbildung begleitet hat.

Die Marine spielt auch heute noch innerhalb der libanesischen Armee keine große Rolle. Die Seestreitkräfte verfügen über gerade einmal etwa 1500 Soldaten und wenige Dutzend Boote - meist Schenkungen anderer Länder. Kein Boot ist wie das andere. Manche liegen ungenutzt im Hafen, weil die Soldaten mit ihrer Technik überfordert sich. Die Tabarja mit ihren knapp 30 Metern Länge ist nun eines der größten und auch modernsten Boote der Marine. 1994 wurde es in Dienst gestellt. Die Technik ist schnell zu lernen und gut zu warten, wenn die Möglichkeiten begrenzt sind. Und das ist in Libanon leider der Fall.

Als die deutsche Marine ihren Einsatz begann, war das Land nicht einmal in der Lage, ein havariertes Schiff vor der Küste selbst zu retten. Die Armee hat auch heute noch andere Sorgen, als die Marine auszubauen. Das Militär muss ein Übergreifen des Bürgerkrieges in Syrien verhindern. Die Sicherheitslage bleibt angespannt. Im Bundestag war von einem "Pulverfass" die Rede. Die Regierung in Beirut jedenfalls legt großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr.

Am frühen Morgen erst ist die Tabarja von einer 48-Stunden-Fahrt vor die Küste Beiruts zurückgekehrt. Zwei Tage auf See zu bleiben, für Harouni und seine Crew war das eine Herausforderung: Genügend Verpflegung mitnehmen, Treibstoff einplanen, einander auszuhalten und sich aufeinander verlassen zu können. Das musste sie erst lernen.

Die Soldaten haben das deutsche Boot kennengelernt - und dabei Wörter wie Alarmklingelanlage

Drei Monate lang haben die libanesischen Soldaten mit Unterstützung deutscher Ausbilder das Boot beherrschen gelernt - und Vokabeln gepaukt. Worte wie Alarmklingelanlage etwa. Das steht auf der Brücke unter einem der vielen eckigen, roten Knöpfe. Für Jad Karkafi klingt das Wort schon sehr vertraut. Der Libanese hat an der Marineschule Mürwik den schiffstechnischen Offizierslehrgang besucht, er spricht fließend Deutsch und kann es kaum erwarten, sein Wissen nun an andere in der Armee weiterzugeben.

Der 25- Jährige wirkt etwas aufgekratzt an diesem Tag, der dann auch für ihn ein besonderer ist. Aus Berlin hat sich Besuch angekündigt. Verteidigungsstaatssekretär Thomas Silberhorn ist auf Truppenbesuch. Er will sich über die Arbeit der Marine vor Libanon informieren und die Besatzung der Tabarja kennenlernen. Er begrüßt den Kapitän mit den Worten: "Vielen Dank, dass sie uns auf ihrem Schiff empfangen." Dann lässt er sich unter Deck führen und später auf die Brücke. Als er sich verabschiedet, auf die Korvette Magdeburg wechselt, sagt er: "Sie stehen beispielhaft für viele Seeleute, die noch kommen werden."

Die Korvette steuert Limassol auf Zypern an. Die Tabarja ist längst in den Hafen von Beirut zurückgekehrt. Fregattenkapitän Sascha Zarthe ist guter Dinge, dass Kapitän Harouni einen guten Job machen wird. Er sagt, es gehe nicht darum, jetzt "alles perfekt zu machen", sondern eine Blaupause abzuliefern. Aus einer Tabarja sollen einmal viele werden. Ein Schiff, eine Crew - ein Anfang. So sieht er das.

Für die Magdeburg endet der Einsatz im östlichen Mittelmeer. Von Limassol aus geht es zurück nach Deutschland. Die Braunschweig löst die Magdeburg ab. Das eine deutsche Schiff geht, das andere kommt. So bleibt das wohl noch einige Zeit. Die Tabarja aber, die bleibt jetzt.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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