Ausländerfeindlichkeit:Bleibende Schäden in jeder Hinsicht

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Während der Deutsch-Äthiopier um sein Leben ringt, überlegt man in Potsdam, wie man der rechten Gewalt Herr wird. Ein Mailboxmittschnitt soll bei der Suche nach den Tätern helfen.

Philip Grassmann

Es sind nur ein paar hundert Meter von der Wohnung bis zu dem Tatort an der Straßenbahnhaltestelle. In einer Seitenstraße eines etwas heruntergekommenen, aber bürgerlichen Potsdamer Stadtteils hat Ermyas M. gewohnt.

Es gibt hier einige Geschäfte, ein paar Kneipen und etwas weiter die Straße herunter liegt einer der Seiteneingänge zum Schlosspark von Sanssoucis. Es ist ein Stadtteil, sagen Anwohner, in dem eigentlich nicht viel passiert.

Mailboxnachricht liefert Hinweise

Aber in der Nacht zu Ostermontag ist hier doch etwas passiert, und seitdem steht ganz Potsdam unter Schock. Ermyas M. wurde gegen vier Uhr morgens an der Haltestelle brutal zusammengeschlagen und misshandelt. Es ist der schlimmste ausländerfeindliche Überfall in der Landeshauptstadt seit der Wende.

Ermyas M. wurde so schwer verletzt, dass er seitdem im künstlichen Koma gehalten wird. Die Ärzte sagen, er hat ein schweres Schädel-Hirntrauma erlitten, und übersetzt heißt dies, dass er so übel malträtiert wurde, das sein Schädel an einigen Stellen gesplittert ist.

In einer zweistündigen Operation haben sie ihm ein Handteller großes Stück aus der Schädeldecke herausgenommen, damit der Druck im stark geschwollenen Gehirn sinkt. Es soll später, wenn es ihm besser geht, wieder eingesetzt werden. Aber niemand weiß, wann das sein wird.

Es gibt keine Zeugen von dem Überfall, keine direkten zumindest. Aber es gibt ein Telefongespräch, das von der Handy-Mailbox seiner Frau aufgezeichnet wurde. Ermyas M. hat sie angerufen, kurz bevor er so brutal zugerichtet wurde, aber sie ist nicht dran gegangen.

Man hört Straßengeräusche. Eine helle, eine dunkle Stimme. Jemand sagt: "Hör doch mal auf." Dann fällt das Wort "Nigger". Und Ermyas M. hört man antworten: "Warum sagst du Nigger zu mir?" Es gibt unverständliche Wortfetzen, Geräusche, nach knapp zwei Minuten bricht das Gespräch ab.

Ermyas M. wurde in Äthiopien geboren. Er lebt seit fast zwanzig Jahren in Potsdam, er hat längst die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, er ist mit einer Potsdamerin verheiratet, sie haben zwei kleine Kinder. Er hat hier studiert, arbeitete als Wasserbau-Ingenieur und saß gerade an seiner Doktorarbeit.

Wenn die Umstände nicht so traurig wären, dann könnte man sagen, dass das Leben des Ermyas M. bis zum frühen Ostermontag ein Vorbild für eine gelungene Integration gewesen ist.

Dass der 37-Jährige überhaupt noch am Leben ist, hat er wahrscheinlich einem mutigen Taxifahrer zu verdanken. Der fuhr an der Haltestelle vorbei und sah, wie Ermyas M. mit zwei Personen sprach. Auf der Rücktour sah er dann jemanden auf dem Boden liegen. Er hielt an und stieg aus, da flüchteten die beiden Männer.

In Potsdam brodelt es schon länger

Sie trugen beide kurzgeschorene Haare, seien beide um die 30 Jahre alt gewesen. Der eine, ein größerer Mann, hatte eine schwarze Bomberjacke mit einem weißen Aufdruck an. Vielleicht, meint die Polizei, war der andere, der kleinere Täter, eine Frau. Wegen der hellen Stimme auf der Mailbox.

Die Potsdamer Fahnder, die bisher noch keine Erfolg versprechende Spur verfolgen, erhoffen sich durch die Veröffentlichung der Nachricht Fortschritte. Inzwischen hat sich auch die Bundesanwaltschaft eingeschaltet.

Zwar hat sich die Polizei beeilt, den Überfall als "absoluten Einzelfall" darzustellen. Doch andererseits gibt es in Potsdam schon längere Zeit Probleme mit Rechtsextremen. Im vergangenen Sommer zum Beispiel eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Jugendlichen. Immer wieder gab es Schlägereien.

Erst vor wenigen Wochen wurden vier jugendliche Rechtsextreme vom Potsdamer Landgericht verurteilt. Sie hatten an einem Imbissstand zwei Studenten aus der linken Szene gesehen, waren aus der Straßenbahn ausgestiegen und hatten sie gemeinsam mit sechs erwachsenen Neonazis zusammengeschlagen. Das Verfahren gegen sie steht noch aus.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs glaubt zwar nicht an einen Zusammenhang zwischen beiden Vorfällen. Aber er weiß auch, dass es nicht allein damit getan sein wird, das Verbrechen gegen Ermyas M. so schnell wie möglich aufzuklären. Es wird lange Zeit dauern, bis die Stadt die Folgen des Überfalls überwunden haben wird. "Bisher hatten wird hier eine Atmosphäre, dass man "ohne Angst nachts ausgehen konnte, auch als Ausländer oder Farbiger. Das ist nun anders geworden."

Er macht sich auch Sorgen über den schlechten Ruf, der durch den Überfall entstanden ist. Bereits am Dienstag fand er ein Fax auf seinem Schreibtisch, in dem ein Ärzteverband ankündigte, seine Herbsttagung möglicherweise woanders abzuhalten. Er will in der nächsten Zeit mit dem Aktionsbündnis für ein tolerantes Potsdam möglichst viele Zeichen setzten: dass Ausländer willkommen sind, dass die Stadt weltoffen und liberal ist - und dass sie sich gegen Rechtsextreme engagiert.

Vor fast genau sechs Monaten ist es den Potsdamern gelungen, ein solches Zeichen zu setzen. Damals, Anfang November, wollten rund 200 Neonazis durch die Innenstadt ziehen. Aber 5000 Gegendemonstranten versperrten den Rechtsextremen den Weg. Der braune Umzug fiel aus, und die rechten Demonstranten stiegen wieder in den Zug, um nach Berlin zu fahren. Es war derselbe Bahnhof, vor dem Ermyas M. nun so brutal zusammengeschlagen wurde.

© SZ vom 19.04.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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