Aufstand der "Kleinen":Parteien erwägen Klage gegen Neuwahl

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Weil vier kleine Gruppierungen durch eine vorgezogene Bundestagswahl einen Wettbewerbsnachteil befürchten, überlegen sie, ob sie in Karlsruhe Klage einreichen sollen. Aber auch der Grünen-Politiker Werner Schulz hat Widerstand gegen das Verfahren angekündigt, mit dem das Parlament aufgelöst werden soll.

Von Robert Roßmann

Der Widerstand gegen die geplante Auflösung des Bundestages wächst. Vier kleine Parteien erwägen, deswegen vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Sie fühlen sich durch eine vorgezogene Neuwahl benachteiligt.

Angeblich nicht allein: Grünen-Abgeordneter Werner Schulz (Foto: Foto: AP)

Außerdem kündigte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz am Mittwoch eine Organklage in Karlsruhe für den Fall an, dass sich Minister bei der geplanten Vertrauensfrage enthalten und so die Parlamentsauflösung bewirken. Dieser Weg gilt derzeit als wahrscheinlich.

Schulz sagte der Süddeutschen Zeitung, ihm hätten mehrere Abgeordnete von SPD und Grünen Unterstützung signalisiert.

Den Gang nach Karlsruhe erwägen die Republikaner, die Tierschutzpartei, die ÖDP und das Zentrum. Der Vorsitzende der Tierschutzpartei, Jürgen Gerlach, sagte der SZ, die von Bundeskanzler Gerhard Schröder gewünschte Auflösung des Parlaments sei verfassungswidrig.

"Offensichtlich getürkt"

Die überraschend vorgezogene Bundestagswahl verringere angesichts des Zeitdrucks und des enormen organisatorischen Aufwandes die Aussichten der kleineren Parteien. Diesen Wettbewerbsnachteil werde man nicht hinnehmen.

Gerlach sagte, es sei absurd, dass jetzt "künstlich Abgeordnete gesucht werden, die gegen ihre Überzeugung dem Kanzler das Misstrauen aussprechen". Die Vertrauensfrage sei "offensichtlich getürkt".

Die Tierschutzpartei sei deshalb bereits im Gespräch mit anderen kleinen Parteien, um die Neuwahl gemeinsam juristisch zu verhindern. Bei der Bundestagswahl 2002 hatte die Tierschutzpartei 160.000 Stimmen oder 0,3 Prozent erzielt. Sie war damit etwa so stark wie die NPD.

"Nicht koscher"

Auch die Republikaner bereiten bereits eine Organklage in Karlsruhe vor. Ihre stellvertretende Vorsitzende Ursula Winkelsett sagte, am Wochenende werde sich der Bundesvorstand damit befassen.

Verfasser der Klage sei der Bundesvorsitzende Rolf Schlierer. Der Generalsekretär der ÖDP, Claudius Moseler, sagte der SZ, seine Partei werde ebenfalls am Wochenende endgültig über das weitere Vorgehen entscheiden.

Sowohl die ÖDP als auch die Familienpartei erwögen den Gang nach Karlsruhe. Die beiden Parteien haben eine Kooperation vereinbart. In Zukunft wollen sie nicht mehr gegeneinander antreten, sondern - beginnend mit der Bundestagswahl - abwechselnd kandidieren.

Der stellvertretende Vorsitzende der Familienpartei, Wolfgang Britz, äußerte sich allerdings deutlich vorsichtiger als sein Bündnispartner von der ÖDP. Britz sagte, seine Partei wolle zunächst erreichen, dass sie wegen der vorgezogenen Wahl weniger Unterschriften als eigentlich nötig einreichen müsse.

Ihre Klagen erheben können die vier Parteien erst nach der Entscheidung von Bundespräsident Horst Köhler über die Auflösung des Bundestags. Der Bundespräsident kann sich dafür bis zum 22.Juli Zeit lassen.

Es gilt als sicher, dass eine Verfassungsbeschwerde für zulässig erklärt werden würde. Wie die anschließende Entscheidung ausfallen würde, ist dagegen unklar.

Die kleinen Parteien könnten statt der Verfassungsbeschwerde aber auch eine Organklage einreichen. Das Bundesverfassungsgericht gibt ihnen - entgegen dem Wortlaut des BVG-Gesetze - ein Klagerecht als Organkläger.

Begründet wird dies mit dem besonderen Status der Parteien nach Artike l21 des Grundgesetzes.

Der grüne Abgeordnete Schulz will in jedem Fall Organklage einreichen, wenn die "Vertrauensfrage nicht koscher läuft". Das jetzt wahrscheinliche Verfahren der Minister-Enthaltung sei nicht koscher. Schulz wies darauf hin, dass sich SPD und Grüne allein vorige Woche 50 Abstimmungen hätten stellen müssen.

Die Koalition habe alle gewonnen. Die Voraussetzungen für eine Auflösung des Parlaments seien also nicht erfüllt.

Bei der SPD ist bislang niemand bekannt, der nach Karlsruhe gehen will. Es wurde in der Führung aber darauf hingewiesen, dass sich dies nach den Listenaufstellungen in den Landesverbänden ändern könne.

Abgeordnete, die keine Chance auf eine Wiederwahl bekämen, könnten dann versuchen, ihr Mandat per Klage doch noch zu verlängern.

Schröder will am Mittwoch nächster Woche, zwei Tage vor der Sitzung des Bundestages, das Kabinett über seine Begründung der Vertrauensfrage informieren.

Schröder habe dafür statt einer formalen Kabinettssitzung ein Ministergespräch angesetzt, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg. Daran werden keine Beamten teilnehmen, folglich auch nicht der Staatssekretär im Bundespräsidialamt, der für gewöhnlich den Kabinettssitzungen beiwohnt.

© SZ vom 23.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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