Aufruhr in der islamischen Welt:Erster Toter bei Gewaltausbrüchen

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Bei den gewaltsamen Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen ist in Afghanistan ein Demonstrant getötet worden. In Beirut nahm die Polizei rund 200 Menschen fest. Die Gewerkschaft der Polizei warnt unterdessen vor Terroranschlägen in Deutschland.

Die Proteste in der islamischen Welt gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen haben sich am Wochenende in zunehmender Gewalt gegen westliche Einrichtungen entladen.

Auch in Indonesien wird protestiert: Demonstranten vor der dänischen Botschaft in Jakarta. (Foto: Foto: AFP)

Bei Protesten in Afghanistan ist ein Demonstrant getötet worden. Vier weitere Menschen seien verletzt worden, teilte ein Arzt des örtlichen Krankenhauses in Mihtarlam östlich von Kabul mit.

In der Stadt hatte die Polizei nach Behördenangaben zuvor das Feuer eröffnet, als Demonstranten mit Steinen auf die Beamten warfen. Die rund eintausend Demonstranten forderten laut Behörden die Schließung der dänischen Botschaft in Kabul und den Abzug des afghanischen Botschafters aus Kopenhagen. Außerdem forderten sie den Abzug des 170 Soldaten umfassenden dänischen Kontingents der NATO-Schutztruppe ISAF.

Nach den gewaltsamen Protesten in Beirut hat die Polizei rund 200 Menschen festgenommen. Mehr als die Hälfte von ihnen seien Syrer und Palästinenser, erklärte der libanesische Regierungschef Fouad Siniora. Der Angriff auf das dänische Konsulat in Beirut sei "Teil eines Plans zur Destabilisierung, dessen Opfer der Libanon seit mehreren Monaten ist".

Die Ausschreitungen hatten auch politische Folgen: Der libanesische Innenminister Hassan Sabeh erklärte seinen Rücktritt. Zuvor war ihm mangelnde Härte gegenüber den Demonstranten vorgeworfen worden. Politiker aus der Region riefen zur Mäßigung auf.

Die syrischen Behörden hatten eine aufgebrachte Menschenmenge in Damaskus am Samstag praktisch ungehindert das dänische Botschaftsgebäude stürmen und in Brand setzen lassen. In Flammen gingen auch die im selben Haus untergebrachten Vertretungen Schwedens und Chiles auf.

Nachdem Demonstranten ebenfalls ungehindert die norwegische Botschaft in Brand setzen konnten, stellten sich syrische Polizeikräfte erst in den Weg, als der Demonstrationszug sich den Vertretungen der USA und Frankreichs näherte. Alle Vertretungen waren zum Zeitpunkt der Attacken unbesetzt. Es wurde niemand verletzt.

Am Sonntag konnten starke Polizei- und Armeekräfte in Beirut militante Gruppen unter den mehr als 20.000 Demonstranten auch mit Tränengas und Wasserwerfern nicht vom Sturm auf das dänische Konsulat abhalten, das sie in Brand setzten. Auch eine Kirche sowie Geschäfte, Autos und Wohnhäuser in einem von Christen bewohnten Stadtteil wurden attackiert.

Er habe sich geweigert, auf die Demonstranten schießen zu lassen, sagte der libanesische Innenminister Sabeh am Sonntagabend bei einer Dringlichkeitssitzung des Kabinetts. "Ich wollte nicht für ein Blutbad verantwortlich sein." Nachdem Kritik an dieser Entscheidung laut geworden sei, habe er beim Premierminister seinen Rücktritt eingereicht, so Sabeh weiter.

Deutsche Fahne angezündet

Bereits am Samstag hatten Palästinenser die deutsche Vertretung in Gaza mit Steinen beworfen, Scheiben eingeschlagen und Mobiliar zertrümmert, berichteten Augenzeugen. "Die deutsche Fahne wurde heruntergerissen und angezündet", sagte ein Nachbar. Die Bundesregierung protestierte gegen die Attacke.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai rief die Muslime weltweit zur Vergebung auf. Die Muslime sollte über der Auseinandersetzung stehen und sich nicht auf die gleiche Stufe mit jenen stellen, die die Karikaturen veröffentlicht hätten, sagte Karsai am Sonntag dem US-Nachrichtensender CNN. Der Prophet Mohammed sei viel zu erhaben, um durch diese Karikaturen beleidigt zu werden.

Der Sohn des ermordeten libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri kritisierte die "in Damaskus initiierten und nach Beirut exportierten Gewaltakte" gegen westliche Botschaften. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), ein Zusammenschluss von 57 islamischen Ländern, stimmte unterdessen einem Treffen mit dem dänischen Außenminister Per Stig Møller zu. Ziel solle es sein, die gewalttätigen Proteste einzudämmen.

Das dänische Außenministerium rief alle Dänen in Libanon auf, ihre Wohnungen nicht zu verlassen, bis eine umgehende Ausreisemöglichkeit gefunden sei. Gleichzeitig wurden dänische und norwegische Bürger aus Syrien gebracht. Außenminister Møller sagte in Kopenhagen: "Ich bin entsetzt über die Welle von Gewalt im Nahen Osten. Dies ist jetzt eine Frage von globaler Bedeutung." Kräfte außerhalb des politischen Systems würden nun die Tagesordnung bestimmen.

Die syrische Regierung entschuldigte sich am Sonntag für die Übergriffe. In einer Erklärung drückte das Außenministerium sein Bedauern über die Ausschreitungen am Rande der Demonstrationen aus, bei denen "einige Botschaften in Damaskus beschädigt wurden".

Die EU und die NATO verurteilten die Übergriffe scharf. "Solche Akte sind durch nichts zu rechtfertigen und völlig unannehmbar", erklärte der österreichische EU-Ratsvorsitz. Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer.

UN-Generalsekretär Kofi Annan versuchte unterdessen, die Wogen zu glätten. Zwar respektiere er die Pressefreiheit, doch er teile auch den Unmut der Muslime, sagte Annan. Die Krise müsse sofort überwunden, die ohnehin schwierige Lage dürfe nicht weiter angeheizt werden.

Terrorwarnung in Deutschland

Iran zog am Sonntag seinen Botschafter aus Kopenhagen ab. Auch Saudi-Arabien, Kuwait, Syrien und Libyen haben ihre Botschafter wegen der Zeichnungen bis auf weiteres abberufen. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad ordnete außerdem eine "Überprüfung der Handelsbeziehungen" mit allen Ländern an, in denen die Zeichnungen erschienen seien. Zunächst solle mit Dänemark begonnen werden.

Vor dem Hintergrund der wütenden Proteste im Nahen Osten und der ungewissen Lage der entführten Deutschen im Irak hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterdessen vor Terroranschlägen in Deutschland gewarnt.

"Wir müssen auch bei uns mit Anschlägen rechnen", sagte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg. "Und leider passiert zur Abwehr nichts." In Deutschland seien etwa hundert islamistische "Gefährder" bekannt; aus Personalmangel könnten sie aber nicht überwacht werden. "Wenn es eines Tages einen Anschlag gibt, werden sich alle betroffen anschauen und feststellen: Den Täter kennen wir ja."

Der GdP-Vorsitzende kritisierte, dass der Polizei Möglichkeiten zur Vorbeugung und Aufklärung vorenthalten würden: "Weder bei der Anti-Terrordatei noch bei der wichtigen Speicherung von Telekommunikationsverbindungen geschieht etwas."

Terroranschläge wie im Juli in London oder im März 2004 in Madrid könnten auch in Deutschland passieren. Dass es nicht am Krieg gegen den Irak teilgenommen habe, schütze Deutschland keineswegs, sagte Freiberg: "Der Westen insgesamt ist für diese Fanatiker das Abgrundschlechte." Er hoffe, "dass die Politiker hier wach gerüttelt werden".

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