Aufgaben des US-Präsidenten:Aufräumen und sortieren

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Egal wer der nächste US-Präsident wird: Vom ersten Tag an muss er sich schwierigen Aufgaben stellen. Denn es wird nicht reichen, sich nur von den Fehlern der Bush-Administration zu distanzieren.

Madeleine Albright

Sehr geehrte Senatoren John McCain und Barack Obama, in wenigen Wochen wird einer von Ihnen beiden zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Er steht dann vor der Aufgabe, Amerikas Glaubwürdigkeit als effektive und beispielhafte Führungsmacht der Welt wiederherzustellen.

Egal ob McCain oder Obama der nächste US-Präsident wird - die Aufgaben, die er zu bewältigen hat, sind enorm. (Foto: Foto:)

Dies lässt sich nicht erreichen, indem Sie sich von den Fehlern George W. Bushs distanzieren. Sie müssen Strategien anbieten, um mit all den Gefahren umzugehen, dem weltweiten Zusammenbruch der Wirtschaft, zwei heißen Kriegen (Irak und Afghanistan), al-Qaida, nuklearen Bedrohungen und dem Klimawandel.

Für jeden Bereich werden Sie ein erstklassiges Beraterteam zusammenstellen, die Grundsätze kritischen Denkens anwenden sowie eine kohärente Strategie mit einem klaren Zusammenhang zwischen Taten und Ergebnissen entwickeln müssen.

Ihr erster Job wird sein, die traditionellen Quellen des Respekts für Amerika wiederherzustellen: Unverwüstlichkeit, Optimismus, Unterstützung der Gerechtigkeit, Verpflichtung zur Freiheit und den Wunsch nach Frieden. Amerikas guter Name ist während der vergangenen Jahre befleckt worden. Ihre Botschaft an die Welt sollte sein, dass das wahre Amerika zurück ist.

Die Führung hat den Weg verloren

Vom Tag der Vereidigung an müssen Sie danach streben, das Vertrauen in die ökonomische Stabilität der Vereinigten Staaten wiederherzustellen. Wie Sie aus Gesprächen mit Wählern wissen, glauben auch unsere eigenen Bürger, dass unsere Führer den Weg verloren haben. Wir brauchen einen Präsidenten, der nicht jedes Mal überrascht ist, wenn er die Zeitung aufschlägt. Wählen Sie die richtigen Leute aus, halten Sie sich an die Regeln, die Sie setzen und belohnen Sie Main Street, nicht Wall Street.

Als Oberkommandierender werden Sie Ihre Ziele definieren und dann bestimmen müssen, welches die besten Wege sind, sie zu erreichen. Sie sollten begreifen, dass Gewalt oft stumpf ist und intelligente Akte der Diplomatie das Gegenteil von Appeasement, keinesfalls aber dessen Verkörperung sind. Sie werden keine Wahl haben und mit dem Rückzug von US-Truppen aus dem Irak beginnen müssen.

Weigern Sie sich, werden Sie gezwungen - aufgrund einer sich entwickelnden Übereinstimmung darüber im Irak. Indem Sie den Prozess beginnen und das Timing kontrollieren, können Sie Kredit bei den Führern Iraks erwerben anstatt Radikalen die Behauptung zu ermöglichen, sie hätten uns vertrieben. Das Land wird weiterhin durch interne Rivalitäten bedroht. Sie haben eine lange Geschichte und können nur durch einheimische Entscheidungsträger behoben werden. Amerikanische Truppen sind hierfür kein Ersatz.

Wir brauchen zusätzliche Truppen

In Afghanistan ist die Lage fürchterlich verfahren: Die Mehrheit der Afghanen fürchten die Taliban, grollen der Nato und verlieren das Vertrauen in ihre Regierung. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, mögen Sie versucht sein, "mehr" in Afghanistan zu tun. Aber dies allein wäre nur eine Reaktion, keine Strategie. Unser eigenes Militär gibt zu, dass der gegenwärtige Ansatz nicht funktioniert.

Ja, wir brauchen zusätzliche Truppen, aber um Erfolg zu haben, muss Ihre Politik die Erwartungen und Gefühle der einheimischen Bevölkerung berücksichtigen. Unter Ihrer Führung sollte es das erste Ziel der Nato sein, die afghanischen Streitkräfte so auszubilden, dass sie afghanische Dörfer verteidigen können. Und das vorrangige politische Ziel sollte sein, die Qualität des Regierens landesweit zu verbessern. Die ökonomische Entwicklung ist entscheidend. Sie sollten globale und regionale Einrichtungen darin unterstützen, die Führung beim Bau von Infrastruktur und der Schaffung von Jobs zu übernehmen.

In der Diplomatie sollten Sie sich darauf beschränken, die Zusammenarbeit zwischen Afghanistan und Pakistan in Sicherheitsfragen zu verbessern. Amerika muss mehr unternehmen, als nur Terroristen zu töten - um die Rekrutierung von Ersatz zu verhindern.

Kampf der Ideen

Neben den Taliban ist al-Qaida der andere Grund, warum wir in Afghanistan sind. Al-Qaida bleibt ein Fremdling, wo immer es das Netzwerk gibt. Sogar in Pakistan reichen dessen Wurzeln nicht tief, und das Scheitern der Al-Qaida-Anführer, eine positive Agenda zu formulieren, hat auch für Sympathisanten den Reiz von Operationen à la Osama bin Laden gesenkt. Al-Qaida ist immer noch gefährlich, beginnt aber, den Kampf der Ideen zu verlieren.

Sie sollten vermeiden, den vielen Menschen in der muslimischen Welt, die nicht mit uns einer Meinung sind, neuen Anlass zu geben, sich denen anzuschließen, die uns töten wollen.

Vom ersten Tag an sollten Sie daran arbeiten, die Bestandteile eines fairen Friedens in Nahost zu identifizieren. Zyniker sagen gern, dies werde al-Qaida nicht zum Pazifismus bekehren, aber das ist ebenso offensichtlich wie neben der Sache. Ihre Anstrengungen können immer noch den Respekt für Amerika in Regionen erhöhen, in denen al-Qaida auf der Suche nach frischem Blut ist.

Sie können auch Israelis und Araber davon überzeugen, dass Frieden immer noch möglich ist. Denn wenn es gar keine Hoffnung darauf gibt, werden sich alle Seiten auf eine Zukunft ohne Frieden vorbereiten, dabei die Standpunkte von Extremisten neu bewerten und Ihren Job in all seinen Aspekten noch komplizierter machen.

Der Nahe Osten und der Persische Golf sollten aber nicht all Ihre Aufmerksamkeit beanspruchen. So wie eine effektive Außenpolitik nicht einfach unilateral sein kann, darf sie auch nicht eindimensional sein. Sie sollten mehr Zeit und Ressourcen Regionen wie Lateinamerika und Afrika widmen, die zuletzt ignoriert worden waren. Sie müssen die Welt durch ein Weitwinkelobjektiv betrachten.

Daher hoffe ich, dass Sie eine neue, weitblickende Mission für unser Land etablieren werden. Sie sollte darin bestehen, die jüngsten Fortschritte in Wissenschaft und Technologie nutzbar zu machen, um den Lebensstandard von Menschen auf jedem Kontinent zu verbessern. Ihre Strategie zur nationalen Sicherheit sollte also auch die Produktion von Nahrungsmitteln, die Verteilung von Medizin, Wasserwirtschaft, die Energieproduktion sowie die Erhaltung der Atmosphäre umfassen.

Warum sollte Amerika nicht als Labor für die besten Umweltschutz-Praktiken dienen, warum sollten wir nicht Massenkonsum allmählich durch Nachhaltigkeit ersetzen - als ein Wahrzeichen des American Way? Meine Herren Senatoren, ich bete, dass sich der Wahlsieger als fähig erweist, weltweiten Respekt zu erwerben und Amerikaner stolz zu machen.

© SZ vom 14.10.2008/Übersetzung: D. Esslinger - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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