Auch Washington geht auf Distanz:Israel setzt Offensive trotz weltweiter Kritik fort

Lesezeit: 2 min

Trotz massiver internationaler Kritik hat Israel seine Offensive in Rafah im südlichen Gazastreifen ausgeweitet. Der UN-Sicherheitsrat hatte Israel zuvor wegen der Tötung palästinensischer Zivilisten und der Zerstörung von Wohnhäusern im Gazastreifen scharf zurechtgewiesen.

Gaza/Rafah (SZ) - In einer völkerrechtlich bindenden Resolution verlangte der Rat von Israel, die Demolierung palästinensischer Gebäude sofort einzustellen.

Die israelischen Truppen besetzten vier Wohnviertel des palästinensischen Flüchtlingslagers Rafah, in denen nahezu 60000 der insgesamt 90000 Bewohner leben.

Der israelische UN-Botschafter Dan Gillerman warf dem Sicherheitsrat vor, mit seiner Resolution "Terrorismus zu fördern", statt (palästinensische) Terroristen zu bestrafen. Auf die Frage, ob seine Regierung der Forderung des UN-Gremiums Folge leisten werde, sagte er: "Ich glaube, dass Israel fortsetzen wird, was es muss, um seine Bürger zu schützen."

In der Resolution wird Israel ermahnt, "als Besatzungsmacht gewissenhaft seine rechtliche Verantwortung gemäß der Vierten Genfer Konvention zu erfüllen und das Leben von Zivilisten in Kriegszeiten zu schützen". Israel müsse seine Sicherheitsbedürfnisse "im Rahmen des Völkerrechts befriedigen", heißt es weiter in dem Text. Beide Seiten werden eindringlich aufgefordert, ihren Verpflichtungen nach dem als Road Map bekannten Nahost-Friedensplan zu erfüllen.

Ägypten fordert Eingreifen

Der Resolution stimmten 14 von 15 Mitgliedsstaaten zu; die USA enthielten sich der Stimme. Der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter James Cunningham äußerte sich besorgt über den Verlust von unschuldigen Menschenleben und die Zerstörung von Häusern. Israel habe zwar das Recht auf Selbstverteidigung. "Wir sehen aber nicht, dass die Operationen der vergangenen Tage im Gazastreifen im Interesse des Friedens und der Sicherheit liegen", sagte Cunningham.

Es war das erste Mal seit September 2002, dass die USA eine gegen Israel gerichtete Resolution nicht mit ihrem Veto gestoppt haben.

Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak forderte das so genannte Nahost-Quartett zum Eingreifen auf. Mubarak habe am Mittwochabend mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat und den Mitgliedern des Nahost-Quartetts, bestehend aus den USA, Russland, der EU und den Vereinten Nationen, gesprochen und ein Ende des "aggressiven" und "nicht gerechtfertigten" Vorgehens Israels gegen unbewaffnete Palästinenser angemahnt, berichtete die ägyptische Nachrichtenagentur Mena am Donnerstag.

Israel werde den Einsatz so lange fortsetzen, bis alle Tunnelanlagen für den Waffenschmuggel über Ägypten zerstört seien, sagte die Sprecherin der Streitkräfte, Brigadegeneralin Ruth Jaron. Die Streitkräfte setzten sich damit über die internationale Empörung hinweg, die der Beschuss eines Demonstrationszuges am Mittwoch in Rafah ausgelöst hatte.

Bei der Explosion von Panzergranaten und im Feuer von Maschinengewehren kamen zehn Menschen ums Leben, alle im Alter von zwölf bis 19 Jahren. 55 Menschen wurden verletzt, etliche davon lebensgefährlich. Israel bedauerte den Tod der Zivilisten und bestritt, gezielt in die Menge geschossen zu haben.

Den Palästinensern warfen die israelischen Streitkräfte aber vor, sie hätten zugelassen, dass sich Bewaffnete unter die Menschenmenge gemischt hätten. Israelische Menschenrechtler riefen am Donnerstag den Obersten Gerichtshof Israels an und verlangten eine Untersuchung der Vorfälle vom Vortag.

Am Mittwoch waren in Rafah zudem vier Palästinenser erschossen worden, darunter ein Jugendlicher, der sich Augenzeugen zufolge ergeben wollte. Am Donnerstag waren es neun. Darunter waren nach Militärangaben drei bewaffnete Kämpfer, die sich den Truppen näherten. Sie wurden von einer Rakete getötet.

Augenzeugen berichteten, ein israelischer Panzer habe zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden auf eine Menschenmenge geschossen und dabei zwei Palästinenser getötet. In den engen Gassen des Flüchtlingslagers gingen Soldaten von Haus zu Haus. Sie zerstörten nach Angaben von Bewohnern 15 Gebäude, darunter ein vierstöckiges Haus, das einem Mitglied des Islamischen Dschihads gehörte.

Seit Beginn des Militäreinsatzes in der Nacht zum Dienstag wurden in Rafah und Umgebung 44 Palästinenser getötet. Mehr als tausend Palästinenser wurden durch die Zerstörung ihrer Häuser obdachlos. Auslöser des Einsatzes, mit dem der Waffenschmuggel aus Ägypten unterbunden werden soll, war die Tötung von fünf israelischen Soldaten durch die Palästinensergruppe Islamischer Dschihad.

In Jerusalem wurde der palästinensische Politiker Marwan Barghuti wegen der Verwicklung in Terroranschläge schuldig gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Barghuti für die Anschläge zuständig war, bei denen fünf Menschen ums Leben kamen. Das Strafmaß soll am 6. Juni verkündet werden, die Staatsanwaltschaft beantragte fünfmal lebenslange Haft.

© SZ vom 21.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: