Atomwaffen in Deutschland:Die Bombe geht, der Irrwitz bleibt

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Die Amerikaner ziehen ihre letzten Atomwaffen aus Deutschland ab, die einst das Land spalteten. Damit wird der nukleare Irrwitz beseitigt - wenn auch nicht unbedingt aus Einsicht.

Kurt Kister

Entschiedene Opposition ist meistens gut für ein politisches System. Sie bedeutet Bewegung und Konflikt; hin und wieder führt sie zu Aufbruch und sogar zu einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse.

Die Kontroverse braucht aber Ansatzpunkte. Manchmal sind dies politische Personen wie Konrad Adenauer oder Helmut Kohl; manchmal mentale Zustände wie das Verdrängen der Nazi-Vergangenheit in den 50er und 60er Jahren.

Gelegentlich macht sich der Wunsch nach Veränderung auch an Dingen fest, die zu Symbolen werden, Kernkraftwerke zum Beispiel oder Atombomben.

In Deutschland wird es bald keine Atombomben mehr geben. Die US Air Force hat vermutlich ihre vorletzten Nuklearsprengköpfe aus Ramstein abgezogen.

In Büchel sollen die letzten lagern, 20 Stück, und mutmaßlich werden die dort auch nicht mehr lange bleiben. 20 Atomsprengköpfe von mehr als 5000, die es mal in der Bundesrepublik gab. Auch das ist Ausdruck einer Zeitenwende.

Wer heute 30 oder jünger ist, hat keine eigene Erinnerung mehr daran, dass die letzte große politische Volksbewegung in der Bundesrepublik den Atomwaffen im eigenen Land galt. Immer wieder versammelten sich Hunderttausende Demonstranten im Bonner Hofgarten und anderswo; es gab 1983 die berühmte Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm sowie zahllose Unterschriftenaktionen mit den Dauersignierern von Abendroth bis Zwerenz.

Der Raketenprotest hatte auch anti-amerikanische Züge

Der Protest, die Debatten, das Beben in den Parteien hielten über Jahre hinweg an. Auch wegen der Raketen entglitt der zerstrittenen SPD die Regierung; die Grünen etablierten sich als neue, nicht etablierte Kraft. Und selbst seit der deutschen Vereinigung hatte kein anderes Thema mehr eine solch lang andauernde, tiefgreifende Wirkung - nicht die ausländerfeindlichen Übergriffe Anfang der Neunziger, nicht der Kosovo-Krieg und auch nicht Hartz IV.

Tatsächlich war Westdeutschland früher mit Atombomben vollgestellt, wie es in der Szene hieß. Notabene, in Ostdeutschland war das nicht anders. Dort aber kam man ins Gefängnis, wenn man gegen die Ost-Raketen protestierte, was wiederum einen Teil der westdeutschen Friedensfreunde wenig scherte. Es war damals klarer als heute, was "links" war und dass man, wenn man links war, auch gegen die Raketen sein musste.

Die Konservativen wiederum, unter denen es damals noch wirkliche Rechte gab, hielten fast alles, was gegen Atomwaffen in Deutschland und damit gegen die Nato, also gegen Amerika war, für "links" - Alfred Mechtersheimer genauso wie Oskar Lafontaine, den General Gert Bastian ebenso wie den DKP-Chef Herbert Mies. Die Raketen schufen eine hoch sonderbare Volksfront, der sich Unions-Eiferer wie Edmund Stoiber und - ja, auch der - Heiner Geissler entgegen stemmten.

Gewiss hatte der Raketenprotest auch anti-amerikanische Züge. Ronald Reagan galt Linken (wie übrigens auch ganz Rechten) als die Verkörperung des tumben Aus-der-Hüfte-Schießers, dem man zutraute, einen Nuklearkrieg führen zu wollen.

Dass Reagan als Funktionär der Schauspieler-Gewerkschaft einst von eher links kam, war vielen Deutschen egal. Sie wollten es nicht wissen, so wie es viele bis heute nicht wissen wollen, dass jener Reagan trotz aller Fehler wegen seines Anteils am Niedergang des autoritären Sozialismus sowjetischer Prägung in die Geschichte eingehen wird.

Ja, die Anhäufung tausender Atomwaffen, von denen fast jede einzelne um ein Vielfaches die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe übertraf, war hirnrissig. Politiker und Experten jeder Couleur hatten sich in diesem Irrwitz-Gebäude so eingerichtet, dass sie die, die draußen vor der Tür protestierten, im besten Fall für "unrealistisch" hielten. Die spezielle Form des nuklearen Irrwitzes - Atomwaffen im dichtbesiedelten Europa - wird nun, wenn auch nicht unbedingt aus Einsicht, beseitigt. Die allgemeine Form im Rest der Welt bleibt uns erhalten.

© SZ vom 13.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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