Atomstreit:Iran fordert Weltgemeinschaft heraus

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Aller Verkündungen Präsident Ahmadinedschads zum Trotz: Derzeit ist Iran noch Meilen und Jahre von der nuklearen Waffenfähigkeit entfernt. Trotzdem sollte der Westen keine Mühe scheuen, die Zusammenarbeit mit Iran - und nicht die Konfrontation - zu suchen.

Rudolph Chimelli

Es war kein böswilliger Satiriker, der über Mahmud Ahmadinedschad sagte, er fahre das iranische Staatsvehikel ohne Bremse und Rückwärtsgang. Der Präsident selbst hat dies verkündet, und die Worte bezogen sich auf seine Atompolitik.

Mahmud Ahmadinedschad: In immer kürzeren Abständen braucht der Präsident eine Bühne, auf der er sich inszenieren kann. (Foto: Foto: dpa)

Das unglückliche Bild hat unter kritischen Iranern, die täglich mehr werden, die naheliegende Furcht geweckt, dass eine solche Fahrt nur im Graben enden kann. Was Ahmadinedschad am Montag in Natans über den sogenannten Beginn der Uran-Anreicherung im industriellen Maßstab mitzuteilen hatte, war genau so schief und gefährlich wie der schon einige Wochen alte Vergleich.

Mit den technischen Einzelheiten von Ahmadinedschads Ankündigung brauchen sich Laien nicht auseinanderzusetzen. Nach den jüngsten Erkenntnissen der Internationalen Atomenergieagentur, die in dieser Woche wieder Inspektoren nach Natans schickte, liefen dort zuletzt 328 Zentrifugen. Zwei weitere Kaskaden von je 164 Zentrifugen waren nahezu fertiggestellt.

Große Hindernisse für Teheran

Das Feilschen unter Experten, ob es jetzt 1000 Zentrifugen sind oder schon 3000, wie Teheran sich rühmt, ist müßig. Denn die grundsätzliche Befähigung zum Bau von Zentrifugen bescheinigt die Agentur den Iranern. Und es ist gewiss nur eine Frage der Zeit, wann die Schwelle von 3000 überschritten wird, bei der von industrieller Anreicherung gesprochen werden kann, oder wann alle 54.000 Zentrifugen installiert sind, für die Natans ausgelegt ist.

Noch gibt es viele Hindernisse. Iran hat keine großen Uranvorkommen. Das radioaktive Hexafluoridgas, das aus der Konversionsanlage im nahen Isfahan geliefert wird, ist häufig unrein, sodass die Techniker schon mehrmals auf pakistanische Importe zurückgreifen mussten. Nicht selten fallen Zentrifugen aus. Derzeit ist Iran noch Meilen und Jahre von der nuklearen Waffenfähigkeit entfernt. Aber der Tag wird kommen, an dem die Islamische Republik über alle technischen Voraussetzungen zum Bau von Atombomben verfügt.

Mehr als eine zusätzliche Verzögerung um einige Jahre wäre auch durch militärische Schläge gegen die Nuklearanlagen nicht zu bewirken. Doch bis auf Weiteres werden Ahmadinedschads Beliebtheit beim Volk und damit seine Überlebensfähigkeit nicht an der Zahl von Zentrifugen gemessen, sondern an den Preisen für Fleisch, Gemüse und Reis. Seine Halbwertzeit dürfte überschritten sein.

Politisch interessant ist nun allein, dass Ahmadinedschad mit dem Zaunpfahl einer Kündigung des Atomsperrvertrags winkt. Der Präsident der iranischen Atombehörde, Gholam-Resa Aghasadeh, geht noch weiter. Er verweist auf einen Parlamentsbeschluss in diesem Sinne, den die Regierung verwirklichen müsse, wenn der äußere Druck auf Iran weiter verstärkt werde. Dass Iran den Sperrvertrag kündigt, müsste eine intelligente westliche Politik indes mit allen Mitteln zu vermeiden suchen.

Der Geist ist aus der Flasche

Denn die Abschottung des Landes durch Selbstisolierung, Sanktionen und eine internationale Quarantäne würde das Regime mit großer Wahrscheinlichkeit auf den nordkoreanischen Weg verweisen: auf den forcierten Bau von Atomwaffen als Faustpfand für Verhandlungen oder für geostrategische Machtspiele.

Wer dies in Europa oder Amerika verhindert sehen möchte, sollte keine Mühe scheuen, um Iran mehr als bisher in ein internationales Geflecht der Kontrollen und der Zusammenarbeit einzubinden. Nur auf diesem Weg - nicht durch Konfrontation - ist das höchste Maß an Sicherheit auf atomarem Gebiet zu erlangen, das die westliche Politik angeblich für die Region erstrebt.

Idealvorstellungen, etwa von einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten, sind Poesie, keine Realpolitik. Eine Verwirklichung solcher Träume würde ein funktionierendes Sicherheitssystem für alle Staaten und die Abrüstung der bestehenden Atommächte voraussetzen, Israel eingeschlossen. Dass Indien und Pakistan nukleare Sprengköpfe ohne internationale Ächtung außerhalb des Sperrvertrags entwickeln durften, ist ein schlechtes Omen. Der Geist ist aus der Flasche. Mit Gewalt wird er sich gerade in Iran, wo verletzbarer Nationalstolz zu den Grundzügen des kollektiven Bewusstseins zählt, nicht zurückdrängen lassen.

Der Präsident, der kleine Deus ex machina

Erst vergangene Woche hatte Ahmadinedschad das Medienspektakel um die Freilassung der britischen Seeleute genossen. Demonstrativ stellte er sich dabei vor seine Getreuen, die Pasdaran. Doch in der Sache führte er aus, was gemäßigte Rivalen dem geistlichen Führer Ali Chamenei empfohlen hatten. Der Präsident wurde zum kleinen Deus ex machina ernannt, der die Krise für die Bildschirme der Welt großmütig auflösen durfte, bevor sie gefährlicher wurde.

Für seinen Auftritt in Natans mobilisierte Ahmadinedschad nicht nur die eigenen Medien, sondern ein Publikum von Dutzenden ausländischen Diplomaten und Journalisten. Offenbar braucht der Präsident in immer kürzeren Abständen eine Bühne, auf der er sich inszenieren kann. Mangels greifbarer Erfolge ist nicht mehr das Ereignis oder dessen Inhalt die Botschaft, sondern er selber.

Lange vorher hatte er seinen Landsleuten für diesen Tag eine ,,gute Nachricht'' versprochen. Ihr leichtes Gewicht entsprach den geringen Erwartungen.

© SZ vom 11.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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