Asyl in der Schweiz:Schneller, aber fairer

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Irritationen hat der Fall auch in der Hauptstadt Bern und bei den Abgeordneten ausgelöst. Im Bild das Bundeshaus, das Parlament der Eidgenossen. (Foto: Peter Schneider/dpa)

Bei den Asylverfahren könnte Deutschland von der Schweiz lernen, besagt eine Studie. Es geht etwa um mehr Anwälte.

Von Philipp Nowotny, München

Kostenlose Rechtsbeistände für Flüchtlinge verbessern das Aufnahmeverfahren. Zu diesem Schluss kommt der Migrationsexperte Dietrich Thränhardt von der Universität Münster. Was zunächst paradox erscheint - mehr Anwälte, schnellere Verfahrenszeiten -, zeigt die Schweiz mit ihrem 2012 reformierten Asylverfahren und einem Modellversuch in Zürich. Nach ablehnenden Bescheiden in eindeutigen Fällen sollen Bewerber innerhalb von 140 Tagen das Land verlassen, mögliche Beschwerden eingerechnet. Das Schweizer Parlament beschloss im vergangenen Herbst die Umsetzung im gesamten Land.

In Deutschland wächst der Stau an unbearbeiteten Anträgen weiter an. Ende Februar waren es laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 393 155 Fälle, rund 28 000 mehr als zu Jahresbeginn. Hinzu kommen nach Schätzungen 300 000 bis 400 000 Flüchtlinge, die noch nicht ihren Antrag stellen konnten. Von sechs Monaten auf sechs Wochen konnte man den Entscheidungsprozess in den "Ankunftszentren" verkürzen, sagt Thränhardt, der für die Bertelsmann-Stiftung die Verfahren in Deutschland und Schweiz verglichen hat. "Darunter gelitten hat aber die Qualität." Die Schweiz zeige, dass schnellere Verfahren und bessere Qualität kein Widerspruch seien. Hoher Personaleinsatz, gute Organisation und kostenloser Rechtsbeistand, davon könne die Bundesrepublik profitieren.

Im Schweizer Modell bringt der Bund Flüchtlinge in "Verfahrenszentren" unter. Von Beginn an stehen Anwälte zu Seite, der Staat zahlt pro Fall 1361 Schweizer Franken. "Die Aussagen gewinnen an Struktur und Konsistenz", sagt Thränhardt. Das vereinfache die Entscheidung. Ein Kernelement ist die Kategorisierung in einfache und komplexe Verfahren, die entweder innerhalb von Wochen und sogar Tagen oder nach spätestens einem Jahr abgeschlossen werden. Bei schwierigen Fällen bringen die Kantone und Gemeinden die Bewerber dezentral unter. Das Verfahren ist umstritten. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will die Umsetzung mit der Volksabstimmung "Nein zu Gratis-Anwälten und Enteignungen" im Juni verhindern.

Harald Löhlein vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband bewertet die kostenlose Rechtsberatung und vor allem die in der Schweiz personell viel stärker ausgebaute Sozialbetreuung positiv. "Das ist auch in Deutschland notwendig", fordert Löhlein. Die Kategorisierung von Flüchtlingen sieht er prinzipiell kritisch. "Das kann dem Einzelfall nicht gerecht werden." Für das deutsche Verwaltungsverfahren seien kostenlose Rechtsbeistände nicht vorgesehen, teilt dagegen das Bamf auf Anfrage mit. Diese seien "nicht sachgerecht, da die Vorteile einer Effizienzsteigerung im Asylverfahren gegenüber dem Kostenaufwand in keinem angemessenen Verhältnis stehen", so ein Sprecher der Behörde. Gerade bei Antragstellern aus sicheren Herkunftsländern "kommt es auf die individuelle Glaubwürdigkeit des Betroffenen und die Glaubhaftigkeit des Vortrags an, nicht aber auf das Vortragsgeschick eines Bevollmächtigten."

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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