Argentinien:Parlament hebt Amnestiegesetze auf

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Bislang haben zwei Gesetze die Angehörigen der Militärjunta vor der Ahndung ihrer Verbrechen geschützt. Folgt der Senat der Entscheidung des Parlaments droht Hunderten von Polizisten und Militärs die Strafverfolgung wegen Mord und Folter.

Unter dem Jubel tausender Argentinier hat das Parlament die Aufhebung der Amnestiegesetze für Angehörige der früheren Militärdiktatur beschlossen.

Die Madres de Plaza de Mayo, (Mütter der Opfer der Diktatur) vor dem Parlament in Buenos Aires. (Foto: Foto:)

Nach einer siebenstündigen Debatte stimmten die Abgeordneten in Buenos Aires am Dienstagabend (Ortszeit) für die Abschaffung der beiden in den 80er Jahren verabschiedeten Gesetze, die bislang rund tausend Ex-Militärs vor Strafverfolgung schützen.

Nun muss noch der Senat am kommenden Mittwoch der Abschaffung zustimmen. Sollte zudem der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesaufhebung feststellen, wäre 20 Jahre nach dem Ende der Militärjunta (1976-1983) der Weg zur Ahndung der damaligen Gräueltaten frei.

Die Abgeordneten billigten zudem die Umsetzung der UN-Konvention von 1968 über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nach der Menschenrechtsvergehen nicht verjähren.

Somit können Folterer und Mörder der argentinischen Militärdiktatur wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bestraft werden.

Vor dem Kongressgebäude, wo die Debatte über Lautsprecher übertragen wurde, fielen sich die Demonstranten vor Freude über die spektakuläre Entscheidung in die Arme.

"Es macht mir Mut, dass sich die Dinge in diesem Land ändern", betonte die Vorsitzende der Großmütter der Plaza de Mayo, Estela de Carlotto. Die Ratifizierung der UN-Kriegsverbrecherkonvention habe "Größe".

Tausende Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo, Gewerkschaftler, Menschenrechtler, Arbeitslose und Rentner hatten mit Schildern wie "Gerechtigkeit und Strafe für die Schuldigen" und "Für ein Argentinien ohne Straflosigkeit" für die Ahndung der Verbrechen demonstriert.

2400 Militärs und Polizisten mit einem Strafverfahren rechnen

Falls die Amnestiegesetze tatsächlich ihre Rechtskraft verlieren, müssten nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation CONADEP etwa 2400 Militärs und Polizisten mit einem Strafverfahren rechnen. Die Streitkräfte, bei denen es keine Anzeichen von Widerstand gegen die neue Politik gibt, rechnen mit 1600 Strafverfahren.

Im Parlament wurde der Riss deutlich, den die Militärdiktatur noch immer durch die Gesellschaft zieht. So begrüßte die linksgerichtete Abgeordnete und Tochter eines während der Junta-Herrschaft verschwundenen Schriftstellers, Patricia Walsh, die Entscheidung als "fundamentalen Schritt zur Demontage einer Struktur der Straflosigkeit".

Ricardo Bussi, Sohn eines der berüchtigsten Junta-Generäle, rief dagegen die Angehörigen der Opfer der Diktatur zu "Verbrüderung und Vergebung" auf, da die derzeitigen Diskussionen die Toten nicht zurückbringen würden.

Appell an Bundesaußenminister Joschka Fischer

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) appellierte an Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne), nach der Aufhebung der Amnestiegesetze das Schicksal von einhundert während der Militärdiktatur "verschwundenen" Deutschen oder Deutschstämmigen gerichtlich klären zu lassen. In dieser Angelegenheit seien in Deutschland zurzeit 32 Fälle bei Gerichten anhängig, erklärte die GfbV.

In den Jahren der Diktatur von 1976 bis 1983 waren in dem lateinamerikanischen Land zwischen 15.000 und 30.000 Menschen getötet worden. Bei den meisten handelte es sich um junge Oppositionelle, die verschleppt wurden. Viele Leichen wurden nie gefunden.

In den Anfangsjahren der Demokratie wurden 1986 und 1987 auf Druck der Militärs das "Schlusspunktgesetz" (Ley de Punto Final) und das "Befehlsnotstandsgesetz" (Ley de Obediencia Debida) verabschiedet, die Junta-Mitgliedern Straffreiheit zusicherten. Der Oberste Gerichtshof prüft seit vergangener Woche, ob die Aufhebung der beiden Amnestiegesetze verfassungsgemäß wäre.

Im vergangenen Monat hatte Präsident Nestor Kirchner bereits das generelle Auslieferungsverbot für Mitglieder der Militärjunta aufgehoben. Auf Antrag Spaniens sitzen derzeit mehr als 40 führende Mitglieder der Junta in Haft. Kirchner signalisierte jedoch, er bevorzuge einen Prozess in Argentinien.

(sueddeutsche.de/AFP)

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