Arbeitsbelastung:Die Ameisen-Strategie

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Zu viel Arbeit? Was Büromenschen von Insekten lernen können.

Von Katrin Blawat

Die Arbeit könnte so schön sein, fielen nicht ständig irgendwelche Extra-Aufgaben an. Solche, die ebenso unverzüglich wie fachmännisch erledigt werden wollen, um das Chaos wieder in den Griff zu bekommen. Die wohl wichtigste Frage lautet dann: Wer springt für welche Mehrarbeit ein? Müssen die ohnehin schon Fleißigen nun noch stärker ran? Oder lassen sich auch jene Mitarbeiter aktivieren, die bislang durch Nichtstun aufgefallen und höchstens ab und zu an den Büros ihrer Kollegen vorbeigeschlendert sind?

Auf der Suche nach Antworten auf solche Fragen werden Dienst- und Strategiepläne erstellt, womöglich sogar professionelle Berater hinzugezogen - alles nur, um sich bei nächster Gelegenheit doch wieder in Diskussionen über Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Überarbeitung zu verlieren.

Vielleicht liegt das Problem auch darin, dass der Mensch in derartigen Notsituationen an der falschen Stelle nach Hilfe sucht. Oder hat sich je ein Abteilungsleiter schon einmal bei Ameisen erkundigt, wie sie das schaffen: eine hochkomplexe Organisation zu führen, in der immer wieder Existenzbedrohendes passiert und diese Störungen durch Mehrarbeit kompensiert werden müssen?

Es gibt auf diesem Gebiet wohl keine größeren Experten als nordamerikanische Ameisen der Art Temnothorax rugatulus. Das zeigen zwei Biologinnen der Washington University in St. Louis, indem sie den Tieren Mehrarbeit zumuteten. Zum Beispiel verunreinigten die Forscherinnen die Nester mit einem Pilz, entfernten Nahrung oder setzten zusätzlichen Nachwuchs in den Kolonien aus.

Schon in normalen Zeiten glänzen die Insekten durch vorbildliche Aufgabenteilung. Manche Tiere kümmern sich um den Nachwuchs, andere schaffen Futter heran, eine dritte Gruppe hält das Nest instand. Und für beinahe jede denkbare Mehrarbeit scheinen die Ameisen einen ausgeklügelten Plan parat zu haben. Alle Bewohner einer Kolonie packen dann mit verstärkten Kräften an.

Die Ameisen-Strategie besteht aus einer feinen Balance zwischen spezialisierten Arbeitskräften einerseits und flexiblen Kollegen andererseits, die verschiedene Aufgaben übernehmen, schreiben die Biologinnen im Fachmagazin Animal Behaviour. So klotzten die ohnehin schon fleißigen Tiere einfach härter ran, etwa wenn es darum ging, Artgenossen von dem eingebrachten Pilz zu säubern.

Darüber hinaus enthielten die Kolonien "Reservisten"; sie wurden erst aktiv, als zusätzliche Arbeit anfiel. Unter den Reservekräften wiederum gab es Spezialisten für die Nachwuchsbetreuung. Nur wenn in diesem Job erhöhter Bedarf bestand, nahmen sie die Arbeit auf. Eine andere Untergruppe der Reservisten hingegen ließ sich flexibel als Allrounder einsetzen. Je nach Dringlichkeit schafften sie Futter heran oder brachten das Nest in Schuss. In normalen Zeiten dagegen waren diese Tiere beschäftigungslos herumgelaufen - vergleichbar vielleicht mit jenen Menschen, die im Büro von Tür zu Tür ziehen und auf einen kleinen Schwatz aus sind.

Auch das lehrt also die Ameisenwelt: Vorsicht vor einem allzu schnellen Urteil über die vermeintlich inaktiven Kollegen. Womöglich warten sie auf ihren Einsatz in Krisenzeiten.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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