"Aquarius":Hafen in Sicht

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Migranten auf dem Schiff Aquarius, das von den Hilfsorganisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen betrieben wird. (Foto: Kenny Karpov/MSF/SOS Mediterranee/dpa)

Nachdem Italiens Regierung Hunderte Bootsflüchtlinge abgewiesen hat, sind die Passagiere der "Aquarius" nun auf dem Weg nach Valencia.

Von Oliver Meiler und Thomas Urban, Rom/Madrid

1400 Kilometer sind es auf dem Seeweg von Malta nordwestwärts bis nach Valencia. Bei gutem Wetter lässt sich die Strecke auf einem großen Kahn wie der Aquarius in zwei, drei Tagen schaffen. Doch die Vorhersagen sind schlecht, sie verheißen Sturm und bewegte See. Vier Tage könnten da nötig sein.

Nicht einmal diese Aussicht vermochte die Regierung in Rom zu erweichen. Die 629 Passagiere an Bord des Rettungsschiffs der Hilfsorganisation SOS Méditerranée durften nicht in Italien landen. Sie sind in ein politisches Gezerre geraten. Ein Hubschrauber flog am Dienstag lediglich vier von sieben schwangeren Frauen aus, nach Palermo, wo sie versorgt wurden. Von weiteren hundert Flüchtlingen hieß es, sie seien derart geprüft von den Strapazen ihrer Odyssee, dass womöglich auch ihnen die Durchquerung des Mittelmeers erspart wird. Einer der Passagiere war nervlich so am Ende, dass er versuchte, sich umzubringen. Crewmitglieder und Mitflüchtlinge konnten ihn mit vereinten Kräften davon abhalten.

Spanien hat angeboten, die Migranten aufzunehmen. Um sicherzugehen, dass sie auch schnell dort ankommen, hatte Rom zwei moderne Schiffe seiner Marine und Küstenwache zur überfüllten Aquarius in der Straße von Sizilien geschickt. Sie nahmen einen Großteil der Passagiere auf, um sie nach Valencia zu bringen. Für Verstimmung sorgte allerdings, dass die Italiener auch die Aquarius zur Überfahrt nach Spanien aufforderten - mit den übrigen Passagieren. Die NGO vermutet dahinter das Kalkül des italienischen Innenministers, der alle privaten Rettungsorganisationen aus dem zentralen Mittelmeer vertreiben wolle. Diese Vermutung ist wohl nicht falsch.

Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechtsextremen Lega, nennt die NGOs mal "Vizeschlepper", mal "Taxiunternehmen". Er wirft ihnen vor, ein "Business" zu betreiben mit den Migranten, die in Libyen ablegen. Viele Hilfsorganisationen sind nicht mehr übrig geblieben, seit schon Salvinis Amtsvorgänger, der Sozialdemokrat Marco Minniti, ihre Arbeit eingegrenzt hatte. Salvini will nun die Regierungen all jener Länder in die Pflicht nehmen, aus denen diese NGOs stammen: Deutschland, Spanien, Großbritannien.

Er stehe "im Einklang mit der Bibel", sagt Italiens rechtsextremer Innenminister

Der Innenminister fordert, dass Flüchtlinge, die an Bord dieser Rettungsschiffe gehen, künftig dahin gebracht werden, wo die NGOs herkommen. "Wir ziehen den Kopf nicht mehr ein." Er lasse sich auch kein schlechtes Gewissen einreden. Als einige prominente Kirchenführer seine Härte kritisierten, sagte er: "Ich stehe im Einklang mit der Bibel." Den Rosenkranz trage er immer bei sich. Salvini beglückwünscht sich selbst dafür, dass er mit seinen ersten Manövern eine "europaweite Diskussionsfront" eröffnet habe.

Seine Euphorie wird nicht überall geteilt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Beispiel ließ verlauten, die neue Linie der italienischen Regierung sei "zynisch und verantwortungslos". Das wiederum mochten die Italiener nicht auf sich sitzen lassen. "Ausgerechnet die Franzosen erteilen nun Lektionen", sagte Luigi Di Maio, der Chef der Protestbewegung Cinque Stelle und neuerdings Vizepremier. Frankreich riegelt die Grenzen zu Italien recht hermetisch ab und drängt Flüchtlinge einfach zurück, vor allem bei Ventimiglia und Bardonecchia. Außerdem erfüllt es seinen Part bei der Umsiedlung von Migranten bei Weitem nicht.

Unterdessen bereitet man sich in Spanien auf die Ankunft der Migranten vor. Die Vizepräsidentin der Region Valencia, Mónica Oltra, teilte mit, Unterkünfte stünden schon bereit, um die Passagiere kümmere sich zunächst die Caritas, Bedürftige kämen sofort in ärztliche Obhut. Regionalpräsident Ximo Puig erklärte, die Aufnahme der Menschen werde die Gesellschaft "spirituell bereichern". Er gehört der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) an, die Spaniens neuer Premier Pedro Sánchez anführt.

Sánchez betonte am Dienstag, Madrid stehe solidarisch zu den Beschlüssen der EU über die Aufnahme und Verteilung von Asylbewerbern. Die konservative Madrider Tageszeitung El Mundo nannte das Angebot, die Flüchtlinge aufzunehmen, eine "großherzige Geste von Sánchez". Zugleich kritisierte sie, damit werde ein Signal gegeben, das den Migrantenstrom nur weiter anschwellen lasse.

In Spanien hatte in den letzten Jahren nur ein Bruchteil der Migranten aus den Ländern südlich der Sahara die Kriterien für die Anerkennung als politische Flüchtlinge erfüllt. Dennoch gab es nur wenige Abschiebungen. Die meisten afrikanischen Migranten wollten nämlich nach Frankreich oder Deutschland weiterreisen, ein Teil von ihnen bekam von den spanischen Behörden Bustickets bis zur französischen Grenze. Wer ohne Papiere im Land bleiben will, ist im Prinzip geduldet, hat aber keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Auch ärztliche Versorgung wird meist nur im Notfall gewährt. Die Kinder der "Papierlosen" dürfen aber Kindergärten besuchen, zudem gilt für sie die Schulpflicht, und ihre ärztliche Versorgung ist garantiert.

© SZ vom 13.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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