Antisemitismus-Vorwurf:Streit zwischen EU und jüdischem Weltkongress geht weiter

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Die EU-Kommission hat die Absage eines mit jüdischen Organisationen geplanten Seminars über Antisemitismus in Europa verteidigt. Ihr Sprecher forderte zwei hohe jüdische Repräsentanten auf, ihre Vorwürfe gegen die Brüsseler Behörde zurückzunehmen.

Kommissionssprecher Reijo Kemppinen erklärte, der Präsident der EU-Kommission Romano Prodi wolle sich nicht mit Leuten zusammensetzen, die ihn des Antisemitismus bezichtigen.

Er bezog sich auf Vorwürfe der Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses und des Europäischen Jüdischen Kongresses, Edgar Bronfman und Cobi Benatoff. Beide hatten der EU-Kommission vorgehalten, sowohl in ihrem Handeln als auch durch Unterlassen Antisemitismus auszudrücken. Diese Anschuldigungen gehen zum einen zurück auf eine Umfrage des EU-Statistikamtes Eurostat, laut der 59 der EU-Bürger Israel als größte Gefahr für den Weltfrieden sehen.

Zum anderen steht eine Untersuchung des von der EU finanzierten Zentrums zur Beobachtung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Raum. Sie wurde mit der Begründung wissenschaftlicher Mängel nicht offiziell veröffentlicht. Nach inoffiziellen Publikationen wird darin jedoch festgestellt, dass Israels Haltung im Nahostkonflikt Ursache für antisemitische Zwischenfälle in Europa seien.

Umfragen keine Beschreibung der Politik

Kommissionssprecher Kemppinen sagte, Umfragen gäben die öffentliche Meinung wieder, seien aber keine Beschreibung der Politik. Die Kommissionsmitglieder hätten Prodi nachdrücklich unterstützt und seien schockiert über die Vorwürfe gewesen, die kaum zu glauben seien. Bronfmann und Benatoff müssten ihre Haltung deutlich verändern, wenn das geplante Seminar stattfinden solle. "Wir wollen die Situation nicht verschlimmern. Der Ball liegt nun bei ihnen", sagte Kemppinen.

Schon am Vorabend hatte sich Prodi entsetzt und verärgert über die Anschuldigungen gezeigt. Er habe sich unmittelbar nach Bekanntwerden der beiden Studien, für die die EU-Kommission keinerlei inhaltliche Verantwortung trage, mit jüdischen Organisationen besprochen und dabei das Seminar vorgeschlagen.

"Sie akzeptierten und waren sogar begeistert, und wir arbeiteten bereits an der Organisation. Und dann las ich diesen Artikel. Ich habe keine Erklärung dafür", sagte Prodi. In einem Brief an Bronfmann und Benatoff schrieb er, er sehe sich nunmehr gezwungen, die Vorbereitung des Seminars einzustellen.

Jüdische Weltkongress zeigt Unverständnis

Der Jüdische Weltkongress in New York (WJC) reagierte mit Unverständnis auf die Absage.

"Nicht wir brauchen dieses Seminar, sondern die EU braucht es, um den Antisemitismus zu bekämpfen", sagte WJC-Vizepräsident Elan Steinberg der Zeitung Financial Times Deutschland ( FTD).

Steinberg sagte der FTD, die EU solle nicht über kritische Formulierungen, sondern über das Maß des Antisemitismus in Europa geschockt sein. "Wir sind überrascht, dass es in der EU nicht dieselbe Empörung über den Antisemitismus gibt", erklärte Steinberg.

Er wiederholte den Vorwurf, dass die EU-Spitze ihrer moralischen und politischen Pflicht zur Bekämpfung der Judenfeindlichkeit nicht ausreichend nachkomme und damit den Antisemitismus fördere.

In Prodis Umfeld wurde die Absage des Seminars mit der harschen Kritik begründet. Geplant war ein Eröffnungsvortrag des Kommissionspräsidenten. Hätten anschließend Bronfman oder Benatoff ihre bei der EU als Schock empfundene Kritik wiederholt, hätte das Seminar seinen Sinn verloren, hieß es. Man wolle nun abwarten, bis eine neue Grundlage für das Seminar geschaffen sei.

Der italienische Außenminister Franco Frattini kritisierte die Entscheidung Prodis. Wie die "Laune eines Kindes" wirke Prodis Handeln in der Angelegenheit, sagte Frattini der Zeitung Corriere della Sera. Sollte der EU-Kommissionspräsident seine Entscheidung nicht revidieren, erwäge Italien, in die Bresche zu springen.

© sueddeutsche.de/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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