Anschlag in Hessen:"Sprengtechnisch unlogisch"

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Als im hessischen Oberursel eine Bombe gefunden wurde, waren sich die Behörden sicher, einen islamistischen Anschlag verhindert zu haben. Nun aber kommen an dieser Theorie Zweifel auf.

Von Lena Kampf, München

Das Rohr ist knapp zwanzig Zentimeter lang. Es ist gefüllt mit Zündstoff und Nägeln und gibt einem Sachverständigen des Landeskriminalamts (LKA) Hessen Rätsel auf. "Sprengtechnisch unlogisch" sei die Konstruktion der Bombe, schreibt er in einem Gutachten. Der "Erbauer" habe anscheinend versucht, "einen handelsüblichen Böller zu kopieren".

Über die möglicherweise todbringende Wirkung könne er keine Aussage treffen, hält der Gutachter fest. Um das Alter der Bombe festzustellen, seien weitere Untersuchungen notwendig. In einem anderen Polizeivermerk heißt es, das Bohrloch sei "nicht unmittelbar vor Sicherstellungszeitpunkt gefertigt" worden.

"Nicht unmittelbar" - das ist vermutlich eine Untertreibung. Möglicherweise könnte die Rohrbombe viele Jahre alt sein. Diese Erkenntnis könnte in einem aktuellen Verfahren bedeutsam sein: Nach Recherchen von SZ, WDR und NDR mehren sich die Zweifel, dass vor Monaten ein terroristischer Anschlag in Hessen geplant war. Das Wiesbadener LKA hatte das Traditionsrennen "Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt", das am 1. Mai stattfinden sollte, "aus Sicherheitsgründen" abgesagt. Nach dem Stand der Ermittlungen gibt es für den angeblichen Anschlagsplan keine Bestätigung. Auch konnten, wie aus Kreisen der Ermittler verlautet, bei Halil D. gefundene Waffenteile, darunter Teilstücke des Sturmgewehrs G3, nicht zu einer funktionsfähigen Waffe zusammen gefügt werden.

Ausschlaggebend in dem Fall war der Fund der rätselhaften Rohrbombe. In einen Jutebeutel gewickelt lag sie im Keller von Halil D. aus Oberursel, einem Mann mit Verbindungen in die Frankfurter Salafistenszene. Halil D., der an der Universität Frankfurt Chemie studiert hatte, aufgrund einer Erkrankung jedoch arbeitslos ist, war den Verfassungsschutzbehörden bereits vor Jahren aufgefallen, er galt aber nicht als gefährlich, obwohl er wegen Körperverletzung vorbestraft ist.

Das Wasserstoffperoxid habe er zur Schimmelbeseitigung gekauft, sagt der Beschuldigte

Anfang März hatte er gemeinsam mit seiner Frau Senay D. in einem Baumarkt drei Flaschen Wasserstoffperoxid gekauft, eine Substanz, die dazu geeignet ist, Explosionen zu erzeugen. Weil beim Kauf größerer Mengen von höher konzentriertem Wasserstoffperoxid eine Meldepflicht besteht, hatte die Kassierin die Polizei auf D. aufmerksam gemacht. Gut zwei Wochen lang hatte die hessische Polizei Familie D. daraufhin rund um die Uhr observiert. D. fuhr mit seinem Auto immer wieder Teile der Strecke des Radrennens ab, sodass die Ermittler vermuteten, er könne diese für einen Anschlag auskundschaften.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt wollte auf Anfrage das Alter der Rohrbombe aus "ermittlungstaktischen Gründen" nicht kommentieren. Auch der Beschuldigte, der in Untersuchungshaft sitzt, hat zur Rohrbombe keine Aussage gemacht. Ein ehemaliger Schulfreund gab jedoch an, man habe Mitte der 90er-Jahre gemeinsam kleine Rohrbomben gebaut, die der gefundenen Bombe sehr ähnlich seien. Es sei darum gegangen, Zigarettenautomaten aufzusprengen und "wer den besten Knall" erzeugen könne.

Halil D. sei überrascht gewesen, als er beim Kauf des Wasserstoffperoxids seinen Namen habe angeben müssen, sagt sein Anwalt Ali Aydin. Weil D. aufgrund seines streng islamischen Aussehens falsche Verdächtigungen befürchtete, habe er spontan einen anderen Namen angegeben.

Sowohl Halil D., als auch seine Frau Senay D. sagten nach ihrer Festnahme aus, das im Baumarkt gekaufte Wasserstoffperoxid sei zur Schimmelbeseitigung in der Wohnung verwendet worden. Ein weiterer Sachverständiger bestätigte den Schimmelbefall und die Behandlung. Senay D. ist Anfang Juni aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ihr Mann blieb in Untersuchungshaft. Laut Staatsanwaltschaft ist das Ende der Ermittlungen noch nicht abzusehen.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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