Anschlag auf U-Bahn befürchtet:London in Angst

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Die Polizei nennt ein Attentat in Großbritannien "unvermeidbar". Als besonders gefährdet gilt die Londoner U-Bahn der Hauptstadt. In London benutzen täglich fünf Millionen Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel.

Von Christoph Schwennicke

Die Werbetafel liest sich seit ein paar Tagen wie eine Warnung. "Clapham Junction - Britain's busiest Railway Station", kann man da lesen, ehe sich der Vorstadtzug rumpelnd vom belebtesten Umsteigebahnhof des Landes weiter in Richtung Waterloo Station in Bewegung setzt.

Rammelvoll ist er wie jeden Morgen, und wenn die Ankündigungen der Behörden stimmen, dann fährt der Herr im Anzug und Schlips auf dem gegenüberliegenden Sitz vielleicht gar nicht zur Arbeit, sondern er arbeitet, indem er fährt: als Train Marshal, also Zugpolizist, ähnlich den fliegenden Aufpassern in den Passagiermaschinen nach dem 11. September 2001.

Mehr Polizisten auf den Bahnsteigen

Die Szenerie in London hat sich geändert, und die Sprache auch. In Waterloo Station patrouillieren deutlich mehr Polizisten über die Bahnsteige, die Frau vom Fundbüro sagt, es würden mehr Taschen und Beutel abgegeben.

Im Portcullis House, einem Abgeordnetengebäude neben Big Ben, tragen die Polizisten in der Lobby des Gebäudes neuerdings Maschinenpistolen. Als vor dem Haus ein Klein-Transporter anhält und der Fahrer die Motorhaube öffnet, fragt sofort ein Beamter, was los ist. In so einem Van könnte eine gehörige Sprengladung untergebracht sein.

London hat Angst. Die Metropole des engsten Verbündeten der USA im Kampf gegen den Terrorismus befindet sich schon seit November vergangenen Jahres in der zweithöchsten Alarmstufe, aber seit den Anschlägen von Madrid ist London noch mehr sensibilisiert. Ein Polizeiteam ist sofort nach Madrid gereist, um etwaige Lehren aus der Katastrophe zu ziehen, einige Spuren der Täter weisen nach London, einige Attentate sind wohl auch schon, so zeigt sich in Nebensätzen der Verantwortlichen, vereitelt worden.

Oberster britischer Polizist: Anschlag ist "unvermeidlich"

Wie ernst die Lage ist, zeigt die Wortwahl der Verantwortlichen. Als "unvermeidlich" bezeichnet der höchste britische Polizist, Sir John Stevens, einen Anschlag auf der Insel, am wahrscheinlichsten in London. Als mögliche Ziele werden Pubs, Clubs, Busse und vor allem Züge und U-Bahnen angegeben.

Fünf Millionen Menschen sind im Londoner Großraum jeden Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf Achse, 2500 Stationen umfasst alleine das Bahnnetz. Auch die Themse, die das Stadtzentrum durchzieht, gilt als Schwachstelle im Sicherheitsnetz und möglicher Ausgangspunkt von Anschlägen. Seit Tagen sind auf dem Fluss Militär-Patrouillen mit Bombenexperten in Schlauchbooten unterwegs.

Erschreckend auch die Wortwahl des Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone: "Es grenzte an ein Wunder, wenn bei all den Ressourcen, über die die Terroristen verfügen, sie nicht eines Tages Erfolg haben, und wenn man bedenkt, dass einige bereit sind, ihr eigenes Leben zu opfern, ist es unvorstellbar, dass sie nicht in London Erfolg haben."

Wenn Politiker so reden und nicht beschwichtigen, kann das nur zwei Gründe haben: Erstens: Sie wollen die Bevölkerung zu höchster Wachsamkeit anhalten. Zweitens: Sie beugen möglichen Vorwürfen nach einem Anschlag vor, nicht das ganze Ausmaß der Bedrohung bekannt gemacht zu haben.

Geheimdienste tappten vor Madrider Anschlag im Dunklen

Was die Sicherheitsbehörden so besonders nervös macht, ist die Stille vor dem Schlag in Madrid. Normalerweise gibt es zumindest ein höheres Aufkommen an Kommunikation unter verdächtigen Figuren. Dieses Mal gab es laut britischen Geheimdiensten keine Hinweise dieser Art.

Niemand kann das offene Transportsystem Londons vor Anschläge wirklich schützen, und keiner kann das Fahren bleiben lassen. Es gehört zur Stadt wie das London Eye und die Tower Bridge. Eine britische Zeitung brachte dieser Tage eine drastische Karikatur, die die fatale Lage ganz gut charakterisierte. Sie zeigte einen typischen britischen Bahnsteig mit Ortstafel "Demokratie", auf der Anzeige, die sonst den nächsten Zug nach London anzeigt, stand: "Nächster Anschlag 12 Uhr 45".

Einstweilen werden die Londoner damit beruhigt, dass sie auf Schritt und Tritt überwacht werden. An kaum einem anderen Ort der Welt hängen so viele Kameras herum, die vor sich hin filmen. Sogar das neue Überwachungssystem für die Stadt-Maut wird zurzeit zur Terrorismusabwehr genutzt.

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