Angela Merkel:Die Gegner im eigenen Lager

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Sechs Ministerpräsidenten suchen, mehr oder weniger deutlich, die Distanz. Auch bei der Gesundheitsreform zeigt sich, dass Länderfürsten von CDU und CSU die Bundeskanzlerin immer wieder deutlich ausbremsen wollen.

Der Zündler: Edmund Stoiber

Edmund Stoiber, 65, hat von allen Unionsministerpräsidenten die kurioseste Metamorphose durchgemacht. Während seine CDU-Kollegen von höheren Weihen auf der Bundesbühne träumen, hat sich der CSU-Chef unter großem inneren und äußeren Druck zum Landespolitiker zurückverwandelt, den nur noch sein Freistaat interessiert.

Vor einem Jahr noch wollte Stoiber unbedingt ins Bundeskabinett. Um Deutschland zu sanieren, brauche es die besten Köpfe, also auch ihn selbst, war er damals überzeugt. Superminister wollte Stoiber werden, gemeint war: Nebenkanzler. Dann floh er im Streit um Kompetenzen aus Berlin, noch ehe er das neue Amt übernommen hatte. Seinen Parteifreunden versprach er, sich fortan wieder um Bayern zu kümmern, was die weder glauben konnten noch hören wollten.

Stoiber geriet über Monate in heftige Turbulenzen, doch für eine offene Rebellion fehlte ein Anführer; Stoiber saß die Unruhen in seiner CSU einfach aus. Immerhin war er in diesen Monaten noch am Erfolg der großen Koalition interessiert und insofern eine Stütze Merkels.

Doch der Glaube, dass Schwarz-Rot die Probleme des Landes lösen kann, ist Stoiber abhanden gekommen. Zugleich ist die bayerische Landtagswahl im Herbst 2008 ins Zentrum seiner Überlegungen gerückt. Denn von dieser hängt seine politische Restlaufzeit ab. Also hat Stoiber, der Kanzler werden wollte und Bundespräsident oder Kommissionspräsident hätte werden können, auf seiner letzten Etappe wieder die Lederhose angezogen. Abgrenzung gegen Berlin ist jetzt seine Devise. Für Merkel ist Stoiber damit zum lästigen Widersacher geworden. Er kann zwar selbst nicht mehr Kanzler werden, aber von Bayern aus bei jeder Gelegenheit zündeln.

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Der Stratege: Roland Koch

Roland Koch, 48, ist Profi genug, um Fragen bei Bedarf auch mal umzuformulieren. "Welche Rolle?", antwortete er also dieser Tage auf die Frage, ob er zufrieden sei mit seinem öffentlichen Part in der Gesundheitsdiskussion: dem des besonnenen Vermittlers. Und setzte sogleich nach: "Ich spiele keine Rolle. Ich tue, was ich für richtig halte und daher tun muss." Soll heißen: Dass ich hier nicht querschieße, hat nichts mit Strategie zu tun. Doch es gibt eine, und mit der fährt Koch derzeit hervorragend.

Denn es ist ruhig geworden um den hessischen Ministerpräsidenten, zumindest was unionsinterne Scharmützel im Allgemeinen und solche mit der Kanzlerin im Besonderen angeht. Das war anders vor drei Jahren, als er die absolute Mehrheit holte und verkündete, nun den "Meisterbrief" zu haben. Was folgte: Spitzen gegen Merkel, die der rot-grünen Steuerreform zustimmen wollte; das Gezerre um Wolfgang Schäuble, den Koch als Bundespräsidenten wollte, Merkel aber verhinderte; das - wenn auch recht kurze - Kokettieren mit der Kanzlerkandidatur.

Es entstand das Bild vom beinharten Merkel-Rivalen, der nur auf Gelegenheiten zum Zubeißen wartet. Die Partei nahm das übel, Koch war weitgehend isoliert - und wieder Profi genug, um zu verstehen: Auf dem Parteitag der Hessen-CDU 2004 rief er Merkel zur "Nummer eins der CDU" aus, kündigte an, sich mit bundespolitischen Äußerungen zurückzuhalten, und steht seither fest an ihrer Seite. Fragen nach Kanzler-Ambitionen beantwortet er mit müdem Lächeln und Erzählungen vom schönen Hessenland. Er spielt seine Rolle wie ein Profi.

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Der Heimliche: Günther Oettinger

Günther Oettinger, 52, ist Ministerpräsident des Bundeslandes mit der geringsten Arbeitslosigkeit und den besten Universitäten. Oettinger ist aber auch Ministerpräsident eines Landes, das aus diesen Spitzenwerten keine herausragende Rolle in der Bundespolitik ableiten kann. Er spielt nicht in der Liga von Roland Koch und Christian Wulff. Ambitionen auf irgendwelche Posten in Berlin werden ihm nicht einmal unterstellt.

Nach seinem Amtsantritt im April 2005 hatte er sich vorgenommen, bundesweit ernster genommen zu werden, die wirtschaftliche Macht seines Heimatlandes in Einfluss umzuwandeln. Das ist ihm bisher nur im beschränkten Maß gelungen. Zur Gesundheitsreform machte er einige Vorschläge, die aber schnell wieder verschwanden oder von der eigenen Partei kassiert wurden. In letzter Zeit schwieg er öffentlich zum Wirken der Kanzlerin. Damit wollte er sich wohl die Zustimmung von Angela Merkel zum Milliardenprojekt Stuttgart 21, der Untertunnelung des Bahnhofs, und dem Bau der ICE-Strecke nach Ulm erkaufen. Dies klingt provinziell, für die CDU in Baden-Württemberg ist es aber ein Test, ob man nach Jahren, in denen die Gelder für die Infrastruktur vornehmlich in den Osten flossen, auch etwas zurückbekommt.

Durch eine Indiskretion kam allerdings heraus, dass Oettinger in einem Schwarzwälder Hinterzimmer über die Gesundheitsreform lästerte. Sollte er nun den Eindruck bekommen, Merkel lasse es an Unterstützung für Stuttgart 21 fehlen, werden wohl auch die Angriffe auf Berlin wieder zunehmen. Und nicht mehr nur versteckt.

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Der Nörgler: Jürgen Rüttgers

Jürgen Rüttgers, 56, gehört in der CDU nicht zu den Verschwörern im Hinterzimmer. Das liegt zum einen daran, dass sich kein anderer Unions-Grande mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten konspirativ verbünden würde. Auch nicht CSU-Chef Edmund Stoiber, dessen Nähe Rüttgers zuletzt suchte. Der CDU-Vize hat zum anderen keinen Grund, im Verborgenen zu agieren, weil er seit Bildung der großen Koalition keinen Hehl daraus macht, dass er nicht viel von diesem Bündnis hält.

Offiziell versichert Rüttgers zwar, dass Bundeskanzlerin Merkel einen tollen Job mache. Spätestens seit er im Sommer ein stärkeres soziales Profil der CDU anmahnte, steht aber fest, dass solche Aussagen nur Floskeln sind und der NRW-Ministerpräsident in Wahrheit auch mit Merkels Führungskraft unzufrieden ist.

Das Nörgeln aus Düsseldorf hat inzwischen notorische Züge angenommen. Kaum ein politisches Vorhaben der großen Koalition, gegen das Rüttgers nicht Einwände erhebt. Zuletzt vermisste er bei der Gesundheitsreform eine Richtung. Dabei hatte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die Eckpunkte mit ausgehandelt. Auch bei der Abstimmung über die höhere Mehrwertsteuer im Bundesrat votierte NRW mit Nein.

Streit gibt es zwischen Berlin und Düsseldorf auch über das Ende der Steinkohle-Subventionen. Rüttgers sieht in der CDU-FDP-Koalition in Düsseldorf die Blaupause für eine künftige Bundesregierung. Bundespolitische Ambitionen hegt er wohl nicht, dazu fehlt ihm die Unterstützung in der CDU. Als Chef des größten Landesverbandes, der derzeit unangefochten das größte Bundesland regiert, befindet sich Rüttgers dennoch in einer starken Position.

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Der Geduldige: Christian Wulff

Christian Wulff, 47, hält sich ausgerechnet in diesen aufgeregten Tagen weit weg von Berlin auf, genauer gesagt: in Russland. So weit entfernt, dass man von dort keinen Einfluss auf die Berliner Politik nehmen könnte, ist Putins Reich allerdings nicht: Wulff hatte Kanzlerin Merkel sowohl in einem Brief seine Wünsche zur Gesundheitsreform mitgeteilt, als auch mit ihr am Tag vor der langen Nacht telefoniert. Das Ergebnis, so heißt es jetzt in Hannover, stelle den CDU-Vize Wulff voll zufrieden - Thema durch.

Es ist schon erstaunlich, wie wenig Ärger gerade jener Ministerpräsident der Kanzlerin macht, der noch vor gut einem Jahr als erster Einwechselspieler auf der Bank der Ersatzkanzler galt. Als im Ringen von SPD und CDU um eine große Koalition nicht mehr auszuschließen war, dass neben Altkanzler Schröder auch Noch-Nicht-Kanzlerin Merkel vom Platz fliegt, skandierte das Publikum schon seinen Namen: Wulff, damals laut Politbarometer beliebtester Politiker Deutschlands, hatte gut zu tun, sein Desinteresse in Worte zu fassen. Ja, er sei gern in Hannover; nein, er gehe nicht nach Berlin, in keinem Fall.

Inzwischen möchte man fast glauben, dass er das so gemeint hat. In der Staatskanzlei an der Leine ist seine Abneigung gegen die Treffen in der Hauptstadt legendär. Wenn die Kanzlerin die Unions-Landesfürsten in die Zentrale bittet, bekommt Wulff schon schlechte Laune. Er, der charmante End-Vierziger, frisch verliebt in eine Jüngere, reklamiert die moderne Mitte der Gesellschaft für sich und damit auch die Mitte der CDU. Er ist am besten, wenn er unter Menschen ist, wie neulich bei der Trauerfeier für die Transrapid-Opfer: einfühlsam, aufrichtig ratlos, ganz Landesvater. Für abstrakte Ränkespiele hat er wenig übrig.

Wulff hat seine eigene Karriere zweierlei gelehrt. Erstens: Man braucht Geduld. Er selbst hat zweimal vergeblich versucht, eine Landtagswahl gegen Gerhard Schröder zu gewinnen. Statt in ein Bundestagsmandat zu flüchten, versuchte er es ein drittes Mal - und schlug Sigmar Gabriel. Zweitens: Ein Chef braucht Loyalität. Der Ex-Wahlverlierer Wulff, auch CDU-Landesvorsitzender, hatte einst große Schwierigkeiten, sich gegen seine Vizes zu wehren.

Wulff ist also jung genug, um die Dinge in Berlin reifen zu lassen und klug genug, der Kanzlerin nicht selbst in den Rücken zu fallen. Sogar als Merkel Wulffs Spezi Friedrich Merz abschießen musste, pflichtete der Niedersachse ihr bei. In Hannover ist man sicher, dass es ohnehin nur zwei Alphatiere in der Union gibt: Wulff und dessen Kollegen Koch aus Hessen. In beiden Ländern wird am selben Tag im Januar 2008 gewählt. Die Zahl der Alphatiere könnte sich schon dann halbieren.

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Der Primus: Georg Milbradt

Georg Milbradt, 61, ist derzeit nicht besonders gut auf Angela Merkel zu sprechen. Es gebe "keine neuen Ideen zum Aufbau-Ost in Berlin" moserte der sächsische Ministerpräsident unlängst; vorhandene Konzepte würden "nicht konsequent genug durchgesetzt". Obwohl eine Ostdeutsche Kanzlerin ist, meint Milbradt offensichtlich, dass die Regierung den Problemen des Ostens nicht genügend Aufmerksamkeit widmet.

So kritisiert er auch, dass Merkel das Thema im Kabinett nicht zur Chefsache gemacht und stattdessen den Verkehrsminister damit betraut habe. Zu Kohls Zeiten, als die Ostproblematik noch im Kanzleramt ressortiert habe, seien jedenfalls "die besten Erfolge" erzielt worden. Den Altkanzler hatte Milbradt zum Einheitstag nach Washington eingeladen. Ein konspiratives Treffen? Sicher nicht, doch Milbradt fällt bereits seit einiger Zeit mit kritischen Bemerkungen gegenüber Berlin auf.

So hielt er Gesundheitsministerin Ulla Schmidt "mangelnde Professionalität" vor und lässt gerne durchblicken, dass er die Sparanstrengungen der Bundesregierung nicht für ausreichend hält. Als Volkswirt hat er klare Vorstellungen von strukturellen Einsparpotenzialen; den Freistaat will er bis 2009 schuldenfrei machen. Unter den Ost-Ministerpräsidenten hat er sich daher schon den Ruf eines Klassenprimus eingetragen. Doch der einstige Professor fordert auch von anderen, dass sie ihre Hausaufgaben machen - eben auch von der großen Koalition. Denn die ist nach Milbradt sowieso "keine Liebesheirat, sondern eine Zwangsehe".

(SZ vom 7.10.2006)

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