Anfänger im Bundestag (Teil 1):Zwei Vollzeitjobs und ein Studium

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Philipp Mißfelder (CDU) weiß, dass Politik immer eine Arbeit auf Zeit ist.

Sven Böll

Es ist ein kleines Wunder, dass Philipp Mißfelder jetzt im Bundestag sitzt. Denn vor zwei Jahren war seine politische Karriere fast schon vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Der Chef der Jungen Union hatte im Sommer 2003 erklärt: "Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen."

Auch CDU-Politiker unterstellten dem damals 23-Jährigen, er rufe einen "Krieg der Generationen" aus. Viele ältere Menschen erklärten ihn zu ihrem persönlichen Feind. "Es ist nicht prickelnd, wenn das Landeskriminalamt einem sagt, wann man seine Wohnung verlassen darf", erzählt Mißfelder.

Aus den Diskussionen um seine Person hat er die Erfahrung mitgenommen, dass die Politik immer ein Job auf Zeit ist. "Es kann jederzeit alles vorbei sein", sagt der 26-Jährige. Der Rausschmiss erfolge sofort und endgültig. Und im Gegensatz zur freien Wirtschaft könne ein Politiker nach dem Scheitern in der einen Partei auch nicht zu einer anderen wechseln. Damit es soweit nicht kommt, braucht ein Politiker wichtige Fürsprecher.

Die hatte Philipp Mißfelder im Jahr 2003 - allen voran Helmut Kohl. Aus Begeisterung für die Politik des Altkanzlers war er als Schüler 1993 in die CDU eingetreten. Doch nicht alle so genannten Parteifreunde sind einem wohl gesonnen. Die Steigerung "Feind, Erzfeind, Parteifreund" hat einen wahren Kern - das ist Mißfelders zweite Erfahrung. "Es haben mir Leute den Rücken gekehrt, die mich kurz vorher noch hochgejubelt hatten."

Philipp Mißfelder hat durch die Reaktionen auf seine "Grenzüberschreitungen", wie er es nennt, Nehmerqualitäten entwickelt. "Anfeindungen lassen mich heute kalt." Aber er hat auch Konsequenzen gezogen, damit er nach einem plötzlichen Karriereende nicht in ein Loch fällt.

Im Privatleben stehen "geordnete Familienverhältnisse" ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Genauso wichtig seien berufliche Alternativen zur Politik. "Schnelles Examen und dann Promotion" lauten seine Ziele für das Geschichtsstudium an der Technischen Universität in Berlin. Auch eine akademische Laufbahn kann sich Mißfelder vorstellen. "Die Wissenschaft reizt mich", sagt er.

Begeistert vom Job des Berufspolitikers

Trotz solcher Gedankenspiele macht er keinen Hehl daraus, dass ihn derzeit nichts mehr begeistert als der Job des Berufspolitikers. "Das ist meine absolute Leidenschaft." Auch 70-Stunden-Wochen mit ausgebuchten Wochenenden schrecken ihn nicht ab: "Ich arbeite sehr gern und scheue keine Nachtsitzungen."

Gelassen sieht Mißfelder, dass er nun neben seinem Studium gleich zwei Vollzeitjobs - Bundestagsabgeordneter und Junge-Union-Vorsitzender - hat. Die Arbeit als Chef des Unions-Nachwuchses sei ohnehin härter als das, was ihm bevorstehe. "Kein Bundespolitiker steigt morgens um fünf Uhr in den Regional-Express, um zu einer Veranstaltung in der Provinz zu fahren", sagt er.

Mißfelders Kalender ist gespickt mit solchen Terminen: morgens in Berlin, nachmittags im Wahlkreis in Recklinghausen, abends an irgendeinem anderen Ort der Republik. "Erklären gehört zum Geschäft." Ohne diese Bereitschaft habe man in der Politik keinen Erfolg. Das sei ein Grund für das Scheitern von politischen Quereinsteigern: "Kein Unternehmer stellt sich stundenlang vor die Senioren-Union und erklärt, warum die große Koalition plötzlich doch gut ist."

Ob die schwarz-rote Regierung für seine Karriere gut ist, vermag Mißfelder nicht einzuschätzen. Als wichtigste Aufgabe sieht er die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Was können wir uns eigentlich noch leisten? - mit dieser Frage will er Druck ausüben auf Angela Merkel & Co. Ob er diese Frage selbst einmal als Minister beantworten muss? "Wer ein so hohes Amt offen anstrebt, ist schon zum Scheitern verurteilt."

Philipp Mißfelder ist vorsichtiger geworden. Aber als einer der jüngsten Abgeordneten im Bundestag hat er auch noch Zeit. "Ich kann Angela Merkel jederzeit anrufen, sie nimmt mein Anliegen ernst", sagt er. Sollte die designierte Kanzlerin oder ihr Nachfolger eines Tages bei dem Vollblutpolitiker anrufen und fragen, ob er ins Kabinett kommen möchte, wäre das vielleicht nicht einmal ein kleines Wunder.

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