Analyse:Krieg gegen die Wirklichkeit

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Die Bush-Regierung ignoriert den Ernst der Lage im Irak und verschärft so die Krise. Warum das größte Sicherheitsrisiko für die amerikanischen Soldaten im Irak Donald Rumsfeld heißt.

(SZ vom 3.9.2003) - Das größte Sicherheitsrisiko für die amerikanischen Soldaten im Irak heißt Donald Rumsfeld.

War bereits unter Präsident Gerald Ford Pentagon-Chef: Donald Rumsfeld (Foto: Foto: Archiv)

Der Verteidigungsminister wollte seinen Krieg - er bekam seinen Krieg.

Er wollte eine kleine Truppe - er siegte mit einer kleinen Truppe.

Er wollte den Wiederaufbau des Landes und die Stabilisierung der Region als Aufgabe für die Polit-Abteilung des Pentagon - er bekam den Auftrag.

Aber dabei scheint Rumsfeld einer gewaltigen Fehleinschätzung zu erliegen: Was sich im Irak abspielt, ist mit den Mitteln des Militärs nicht zu richten. Auf sich und seine wenigen Soldaten im Land gestellt, wird Rumsfeld scheitern.

Das Problem: Wer sagt es dem Verteidigungsminister? In der amerikanischen Regierung sind die alten Verwerfungslinien zu sehen - Außenministerium gegen Verteidigungsministerium, das Weiße Haus irgendwie dazwischen und dabei zerrüttet.

Man muss sich nur die erschreckend blasse Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und den eigentlichen Fürsten der Finsternis, Vizepräsident Dick Cheney, anschauen.

Die Lehre: So lange in Washington gestritten wird, so lange wird in Bagdad gestorben.

Die Signale des Unmuts häufen sich unterdessen. Der Zivilverwalter Paul Bremer fordert frech mehr Geld für den Wiederaufbau.

So viel Geld, "mehrere zehn Milliarden Dollar", dass es dem amerikanischen Präsidenten ein Jahr vor dem Wahltag schlecht werden muss vor Angst.

Der Status muss geändert werden

Der stellvertretende Außenminister Richard Armitage, bisher eher dem Rumsfeld-Lager zugeordnet, handelt auf eigene Rechnung und bringt plötzlich eine neue UN-Resolution ins Gespräch. Die Verbündeten im besetzten Land - Polen, Spanier, auch die Briten - drängen inzwischen immer deutlicher auf eine neue Strategie, während ihnen die Knie schlottern. Türken, Italiener, selbst Frankreich bieten fast schon aufdringlich Hilfe an, wenn denn Amerika einen ordentlichen Schritt auf sie zugehen würde in den Vereinten Nationen.

Die wichtigste Botschaft: Der Status muss geändert werden. Als Besatzungsmacht will niemand auftreten im Irak.

Die deutlichste Warnung aber kommt von den Irakern selbst. Der Anschlag auf Mohammed Bakr al-Hakim hat alle Befürchtungen über das Zerfallspotenzial des Staates bestätigt, wenn er erst einmal von den Eisenklauen Saddams befreit ist.

Gefangene der eigenen Logik

Die USA ließen mit der Besatzung ein Machtvakuum entstehen, dessen Größe sich zunächst an den Plünderungen ablesen ließ und nun an der Zahl der Anschläge, den religiös motivierten Attentaten, den Mafiamorden und den Sabotage-Aktionen.

Weil all dies gleichzeitig und in hohem Tempo geschieht, bleibt die simple Frage, wie weit das Land eigentlich zerfallen muss, ehe die Dimension der Aufgabe in Washington begriffen wird. George Bush kümmert sich um den Irak, als handele es sich um die Petersilien-Inseln.

Der Präsident konsultiert zu wenig, er fördert nicht das Potenzial in der eigenen Regierung, er entwickelt keine politische Vision, wie exakt der Staat auf die Beine gestellt werden könnte und wer diesen Kraftakt vollbringen soll.

Wann beugt sich Bush den Zwängen?

Dabei sind Bush und Rumsfeld Gefangene ihrer eigenen Logik. Streitkräfte light ist eine Idee des Verteidigungsministers, der außerdem daran glaubte, dass sich die Iraker von selbst aufrichten würden, nachdem sie die Befreier mit Blumen beworfen hätten.

Notfalls sollte Freund Tschalabi aus der irakischen Exilanten-Crew der Sache nachhelfen. Tschalabi entpuppt sich aber immer mehr als halbseidener Sprücheklopfer, die irakische Bevölkerung wirft mit Granaten, und selbst die eigenen Generäle lassen den Minister wissen, dass der Staatsaufbau im Irak eine Nummer zu gewaltig sei für das Militär allein.

Wann also beugt sich Bush den Zwängen? Vielleicht zur UN-Generalversammlung Ende September in New York, vielleicht während der Budget-Abstimmungen im Kongress, vielleicht nach dem nächsten Mega-Attentat, vielleicht aber auch erst nach der Wahl 2004 - wenn er dann noch im Amt sein sollte.

(sueddeutsche.de)

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