Analyse:Gezähmte Kampfeslust

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Bei ihrer Fraktionsklausur gingen sie Streitigkeiten erfolgreich aus dem Weg. Doch die Harmonie von Wörlitz trügt: Auf die Grünen warten 2004 schwere Konflikte mit der SPD.

Von Reymer Klüver

Verwundert reiben sich die Grünen nach ihrer Fraktionsklausur im stillen Wörlitz die Augen. So viel Harmonie wie Anfang dieses Jahres gab es noch selten. Fast konnte man den Eindruck haben, da habe eine befriedete Fraktion getagt, der internen Rangeleien überdrüssig, der Reibereien mit dem Koalitionspartner abhold. Ganz so war es aber dann doch nicht. Die Partei ging den Konflikten erfolgreich aus dem Weg. Vielleicht lastet die Anstrengung des Herbstes der Reformen noch allzu schwer auf der Partei. Das nimmt den Grünen zur Zeit die alte Kampfeslust.

Selbst das Bekenntnis zum Wirtschaftswachstum, das die Fraktion als politisches Ergebnis ihrer Neujahrs-Klausur vorlegt, löst keine hitzige Debatte mehr aus unter den grünen Parlamentariern. Immerhin wurde ihre Partei einmal aus dem Glauben heraus gegründet, dass die Grenzen des Wachstums erreicht seien. Doch die Formel vom "qualitativen Wachstum" versöhnt Traditionsgrüne mit den Modernisierern in den eigenen Reihen. Es ist im Grunde ein neues Wort für das alte Konzept der Nachhaltigkeit. Und zu dem können sie nun einmal alle stehen.

Innovationspolitik mit grünem Anstrich

Der Partei- und Fraktionsführung war schon seit einiger Zeit klar, dass sich die Grünen dem vom Kanzler verordneten Jahr der Innovation und dem Bekenntnis zum Wachstum nicht entziehen können, wollen sie nicht als Bremser und Modernisierungsverhinderer dastehen. Sie tun es nicht. Bisher nicht. Grün anmalen wollen sie vielmehr Gerhard Schröders Innovationspolitik.

Doch steckt der Teufel der Auseinandersetzung wie immer im Detail, also dort, wo es darum geht, die Ideen mit konkreten Konzepten zu füllen. Da ist schon klar, an welchen Stellen es Ärger geben wird. Der Kanzler hat ihn selbst angekündigt. Der Krach um den Export der Hanauer Atomanlage nach China ist nur vertagt. Die Grünen setzen auf Zeit und die vage Hoffnung, dass Schröder sich einer anderen Lösung am Ende doch nicht entziehen wird.

Hinter dem Streit grummelt bei Sozialdemokraten vom Kanzlerschlage allerdings das Grundempfinden, dass grüne Konzepte doch nur stören. Dieser Konflikt wird schon bald mächtig losbrechen, wenn es um die Energiepolitik der Zukunft geht, die für Sozialdemokraten zum Beispiel ohne Steinkohle nicht machbar, für Grüne mit der Uraltenergie aber undenkbar ist. Aus demselben Gegensatz heraus wird es krachen, wenn es um die Gen- und Biotechnologie geht. Auch dort hat Schröder eine forschere Gangart verordnet.

Entsetzen über rote Einfallslosigkeit

Und über rote Einfallslosigkeit in der Bildungspolitik sind die Grünen hellauf entsetzt. Da geht es nicht einmal so sehr darum, dass nicht nur für die Spitze, sondern auch in der Breite mehr getan werden muss. Das ist auch sozialdemokratische Überzeugung und im Grunde nicht strittig. Das Tamtam um die Elite-Unis halten die Grünen allerdings für eine Kommunikationskatastrophe, mit der die SPD das Thema der Bildungsinnovation von Anbeginn an vergeigt hat.

Schließlich gibt es bei Grün noch leichte Unsicherheit über den Ausgang der Verhandlungen mit der Union zum Zuwanderungsgesetz. Natürlich haben sich Rote und Grüne geschworen, nur gemeinsam zu marschieren. Aber was, wenn die SPD unter Anleitung von Bundesinnenminister Otto Schily doch umkippt und sich mit der Union ohne Grüne einigt?

Das alles sind grüne Herzensthemen. Wenn es da zum Streit kommt, wird er Partei und Fraktion tiefer aufrühren als der Zwist um die Sozialreformen im Herbst. Dann könnten sich die Besuche der grünen Fraktions-Doppelspitze im Kanzleramt wieder häufen, um dem Koalitionschef zu vermitteln, dass sich ausgerechnet im Marathon-Wahljahr 2004 sehr schnell die Koalitionsfrage stellen könnte. Auch wenn der kleine Partner bestimmt nicht auf Dauerzoff aus sein wird: Es bleibt seinen Führungsleuten im Schröderschen Jahr der Innovation tatsächlich nichts anderes, als reichlich grüne Tünche zu verstreichen.

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