Amerikas Demokraten nach der Niederlage:Die Schlacht der Geschlagenen

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Die Wahlverlierer grübeln, weshalb es nicht gereicht hat - nun könnten Flügelkämpfe den Neuaufbau der Partei blockieren.

Von Wolfgang Koydl

Sie mögen es zwar nicht glauben und noch weniger gerne mögen sie es hören, aber es lässt sich nicht von der Hand weisen: Ein Präsident mit dem Namen Bush ist gut für Amerikas Demokratische Partei. Zugegeben, beide Bushs, Vater wie Sohn, haben den Demokraten empfindliche Niederlagen zugefügt; doch im ersten Fall haben sie daraus eine wertvolle Lektion gelernt.

Eine Momentaufnahme der Rede, in der John Kerry seinem Kontrahenten George W. Bush zum Wahlsieg gratuliert. (Foto: Foto: dpa)

Heute erinnert man sich an George H. W. Bush meist nur als jenen Mann, der Bill Clinton unterlag. Doch in der Wahl von 1988 war er es, der den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Michael Dukakis unter einem beschämenden Erdrutschsieg begrub.

Nach dieser peinlichen Schlappe unterzog sich die Partei John F. Kennedys und Lyndon B. Johnsons einer gründlichen und nicht immer schmerzfreien Generalüberholung. Fleisch gewordenes Ergebnis dieser Mühen war ein junger, unbekannter Gouverneur aus dem konservativen Südstaat Arkansas: Bill Clinton. Zwei Amtsperioden lang prägte er seine Partei und ganz Amerika.

Polit-Star ohne Nachfolge

Dass sie bis heute keinen Ersatz für den alternden Polit-Star gefunden hat, ist ein Indiz für die tiefe Krise der Partei. Nun, da ein anderer George Bush die Demokraten fast in die Bedeutungslosigkeit stürzte, hat die Partei abermals die Chance, sich neu zu definieren.

"Im Interesse unserer Partei und unseres Landes müssen wir das jetzt richtig machen", befand Bruce Reed, der eher dem gemäßigten Zentrum zuneigende Präsident des Democratic National Council (DNC). "Solange wir das nicht schaffen, werden uns die Amerikaner nicht ernst nehmen", fügte er warnend hinzu.

Schon wenige Tage nach dem bösen Erwachen aus der Albtraum-Wahlnacht ist den meisten demokratischen Parteistrategen klar geworden, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Die Partei hat sieben der letzten zehn Präsidentschaftswahlen verloren, sie ist in beiden Häusern des Kongresses in der Minderheit, und selbst draußen in den Bundesstaaten regieren mehr republikanische als demokratische Gouverneure.

Ewige Oppositionspartei?

"Wir hatten das Geld, wir hatten eine nie gesehene Organisation vor Ort, und wir hatten einen guten Kandidaten, der es mit dem Präsidenten aufnehmen konnte und ihn in drei Debatten sogar schlug", lamentierte Harold Ickes, ein ehemaliger Clinton-Berater, über die verlorene Wahl. "Wir hatten all das und haben dennoch verloren. Die Leute werden fragen: Was müssen wir tun? Es wird ein schweres Nachbeben geben."

In der Tat: Die Partei läuft Gefahr, "ohne Wenn und Aber" zur ewigen Oppositionspartei zu verkümmern, wie Douglas Sosnik, ein Berater von Clinton und Kerry, erkannte. "Wir müssen die ganze Partei von Grund auf neu aufbauen, auch wenn das nicht ohne Blutvergießen und neues Denken in Fragen von Substanz und Stil abgeht."

Unklar ist freilich, in welchem Baustil diese neue Partei errichtet werden soll: Modernistisch-liberal oder biedermeierlich-zentristisch, entsprechend der beiden wichtigsten Flügel der Partei. Eine Entscheidung darüber ist natürlich noch nicht gefallen, und es wird noch eine Weile dauern, bis sich eine Fraktion durchgesetzt hat.

"Es gibt mehr von den anderen als von uns"

Die Sache wird dadurch nicht leichter gemacht, dass dieses Mal beide Flügel eine Niederlage erlitten haben, weil Kerry - ein absolutes Novum in der Parteigeschichte - von allen Strömungen der Organisation mitgetragen wurde. Geschuldet war dies weniger seiner eigenen Ausstrahlung, als vielmehr der polarisierenden Wirkung, die von Präsident Bush ausging.

Besonders schmerzlich dürfte die Erkenntnis sein, dass man die Schlappe diesmal nicht auf einen Mangel an Geld, auf wahltaktische Patzer oder ganz allgemein auf eine rechtsgerichtete Verschwörung schieben kann. Denn niemand kann bestreiten, dass Bush vier Millionen Stimmen mehr als Kerry erhielt.

"Wenn 120 Millionen Menschen zur Wahl gehen, dann kommt irgendwann einmal der Punkt, an dem wir erkennen müssen, dass es mehr von den anderen gibt als von uns", vertraute ein um Anonymität bittender demokratischer Stratege der New York Times an. "Meine größte Sorge ist es jedoch, dass wir nun anfangen, wieder aufeinander zu schießen."

Diese Sorge ist nicht unberechtigt, denn die Demokraten sind für ihre selbstzerfleischenden Bruderkämpfe berüchtigt. "Wie sieht ein demokratisches Erschießungs-Peloton aus", heißt es in einer uralten Scherzfrage. "Es bildet einen Kreis." Erste Reaktionen führender demokratischer Politiker nach der Wahl lassen den Schluss zu, dass sie auch diesmal wieder die Waffen aufeinander richten, anstatt auf den Gegner zu zielen.

Wer wäre besser gewesen als Kerry?

Die Frontlinien sind ebenso klar gezogen wie sie alt vertraut sind: Der linke Flügel argumentiert, dass ein eindeutig linker Kandidat wie Ex-Gouverneur Howard Dean mit seiner von Anfang an entschiedenen Gegnerschaft zum Krieg im Irak Bush sehr viel eher und effektiver in die Enge hätte drängen können.

Die Gemäßigten hingegen meinen, dass Kerry unter anderem auch deshalb verlor, weil er nicht beständig genug einen Kurs der Mitte verfolgte und von den Republikanern erfolgreich als Erz-Liberaler dargestellt werden konnte. Leon Panetta, auch er ein früherer Clinton-Intimus, sieht die Situation seiner Partei ernst: "Die Partei Franklin Roosevelts ist zur Partei von Michael Moore und Fahrenheit 9/11 geworden, und das hilft uns in großen Teilen des Landes überhaupt nicht."

Doch auch Panetta kann nicht übersehen, wie stark der Einfluss der Linken geworden ist. Niemand hat im zurückliegenden Wahljahr mehr getan, um die Basis zu mobilisieren und Geld zu sammeln als Leute vom Schlage des übergewichtigen Filmemachers oder die links-liberale Internet-Bewegung MoveOn.org. "In den letzten zwei Jahren hat sich etwas geändert", stellte auch Simon Rosenberg fest, der der Interessengruppe New Democrat Network vorsteht.

"Demokratische Aktivisten halten Republikaner schlicht für korrupt und feil. Entsprechend wenig Toleranz werden sie daher für Demokraten in Washington zeigen, die mit Republikanern zusammenarbeiten. Sie werden unglaublichen Druck ausüben, dass sie stattdessen eine Position einnehmen und dafür kämpfen und nicht einfach wie ein Hund auf den Rücken rollen."

"Das Land wird konservativer"

Andere Demokraten freilich sehen eine Zukunft für ihre Partei in der politischen Mitte, oder sogar ein wenig rechts davon. "Ich glaube, dass sich in diesem Land eine kulturelle Umschichtung vollzieht", erklärte ein führendes Parteimitglied, das seinen Namen nicht gedruckt sehen wollte.

"Ich glaube, dass dieses Land konservativer wird. Ich glaube, dass ihre Basis größer wird." Und Al Frum, der früher dem Democratic National Council DNC angehörte, sieht die Gefahr, dass die Demokraten keine Partei von nationalem Gewicht mehr sein werden: "In den letzten 40 Jahren ist das Territorium, auf dem wir kämpfen, geschrumpft."

Hammer aufs Knie

Als nächstes werden die Demokraten eine Person finden müssen, die ihnen aus der Krise hilft und die 2008 Aussichten hat, die Macht im Weißen Haus zurückzuerobern. Als ob ihnen der Arzt mit dem Hämmerchen aufs Knie geschlagen hätte, fällt den meisten dabei reflexhaft Hillary Clinton ein.

"Sie ist für alle akzeptabel", schwärmt Donna Brazile, die einst Al Gores Wahlkampf managte, über die ehemalige First Lady und Senatorin aus New York. Doch andere sind nicht davon überzeugt, dass Hillary Clinton unter werte-konservativen Amerikanern Stimmen gewinnen könnte. Bessere Chancen geben sie einem Konservativen wie Evan Bayh, dem Senator aus Indiana, oder dem Südstaatler John Edwards.

Manche glauben, dass John Kerry heute Präsident wäre, wenn er seinen Kompagnon richtig eingesetzt hätte. Zu ihnen gehört der Politikprofessor Michael Munger von der Duke-Universität. "Edwards", so meinte er, "war ein Rennpferd, und sie haben ihn im Stall eingesperrt."

© SZ vom 6.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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