Altschulden:Nichtstun geht gar nicht

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Soll der Bund Hunderten völlig überschuldeten Kommunen aus deren finanzieller Misere helfen, so wie es Finanzminister Scholz vorgeschlagen hat? Ja, denn die Koalition hat gleichwertige Lebensverhältnisse versprochen - aber unter einer Bedingung.

Von Cerstin Gammelin

Natürlich soll es gerecht zugehen. Im Kreis der Familie; aber auch in der Gesellschaft. Wer mit vielen Geschwistern aufwächst, lernt früh, dass zwar alle gleich behandelt werden sollen. Dass es aber in der Praxis so ist, dass nicht jedes der Geschwister immer gleich bedacht werden kann. Für eine Schwester gibt es Weihnachten ein Fahrrad, für die andere wird das alte Rad repariert. Rad fahren aber können sie beide. Und genau um diese Chancengleichheit geht es jetzt bei dem Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, die am meisten überschuldeten deutschen Kommunen auch mit Geld des Bundes zu entlasten.

An dem Vorschlag von Scholz überrascht weniger, dass er ihn vorgelegt hat. Sondern mehr, dass er ihn gerade jetzt, zur besinnlichen Zeit zwischen den Jahren präsentiert. Es sieht aus, als hoffe er darauf, dass Betroffene wie Beteiligte, angefangen von den Ministerpräsidenten der Länder bis hin zu den Haushaltsexperten im Bundestag, doch bitte mal in sich gehen. Schließlich wird, wenn überhaupt, nur knapp ein Viertel aller Kommunen von Scholz' Finanzhilfen profitieren. Nämlich diejenigen, die es sich wegen ihrer Altschulden nicht leisten können, gleichwertige Lebensverhältnisse anzubieten. Olaf Scholz muss also auf Solidarität hoffen. Oder eben auf Barmherzigkeit.

Neu ist die prekäre Lage in vielen Kommunen nicht. Neu dagegen ist, dass Union und SPD reagieren. Sie haben sich im Koalitionsvertrag verpflichtet, für gleichwertige Lebensverhältnisse in Städten und Gemeinden zu sorgen. Es geht nicht um irgendwelchen Luxus, sondern eine annähernd gleiche Grundversorgung mit öffentlichen Dienstleistungen, also Bus und Bahn, Internetzugang, Schulen, Kitaplätzen, Freizeitangeboten, aber auch Arbeitsplätzen. Kommunen, die überschuldet sind, können kaum etwas anbieten und fallen weiter zurück.

Dass Nichtstun keine Option mehr ist, zeigen die sich wandelnden politischen Mehrheitsverhältnisse. Überall dort, wo Städte und Gemeinden finanziell kapituliert haben, Unternehmen pleitegehen, Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen, werden die Rechten stärker. Man schaue sich Duisburg an oder Gelsenkirchen, wo der wirtschaftliche Umbruch besonders stark zu spüren - und die AfD zweistellig ist.

Dass das mit der Solidarität keineswegs selbstverständlich ist, hört man am Grummeln in einigen Landeshauptstädten. Bayern braucht für die eigenen Gemeinden mehr Geld. Hessen pocht darauf, nicht leer auszugehen, nur weil man mit den Kommunen einen Entschuldungsplan geschlossen und einige Milliarden Euro zugeschossen hat. Die Haushaltsabgeordneten im Bundestag sperren sich, immer noch mehr Bundesgeld an Länder und Kommunen zu geben.

Andererseits - ist es das nicht wert? Würde der Bund die kompletten 35 Milliarden Euro an Altschulden übernehmen, was ja gar nicht geplant ist, kostete ihn das um die 350 Millionen Euro Zinsen. Das ist viel Geld. Aber ein überschaubarer Betrag, wenn man bedenkt, dass sich 2500 Kommunen wieder um Kitas, Schulen, Brücken und gesellschaftliches Leben kümmern könnten. Wie wäre es mit einer Bedingung zur Güte: Die Bürgermeister sollten sich verpflichten, klüger und besser zu haushalten.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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