Alternativen:Partner mit Privilegien

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Welche Modelle statt einer Vollmitgliedschaft Ankaras in Frage kämen.

Von Stefan Ulrich

Der Begriff klingt viel zu schön, um wahr zu werden. Denn wer wäre das nicht gerne, ein "privilegierter Partner"? Und dennoch: Für die Türken hat das pP-Wort einen Hautgout. "Eine privilegierte Partnerschaft würden wir niemals hinnehmen", verkündet Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Schon deshalb wird die "privilegierte Partnerschaft" nicht in den Schlussdokumenten des EU-Gipfels auftauchen.

Stattdessen werden sich die Staats- und Regierungschefs eine andere Worthülse einfallen lassen, um zu beschreiben, was passieren soll, falls es am Ende nicht zu einer Vollmitgliedschaft der Türkei langt. Sachlich liefe der Ersatzzustand wohl auf eine Art Partnerschaft hinaus, und deshalb lohnt es sich, den Begriff mit Inhalt zu füllen.

CDU und CSU versuchen das seit langem. Mittlerweile lassen sich Seiten mit den Ergebnissen füllen. Entscheidend ist, dass die Türkei weniger bekäme als bei einer Vollmitgliedschaft -- und mehr als beim Status quo. Bisher verbindet Brüssel mit Ankara ein Assoziierungsabkommen und eine Zollunion.

Künftig könnte daraus eine Freihandelszone werden, sagt Matthias Wissmann (CDU), der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestages. Nicht nur türkische Produzenten, auch Dienstleister könnten dann frei in der EU agieren und vice versa.

"Es geht nicht um Milliardenpakete"

Zudem sollte die EU einem Partner Türkei "beim Prozess seiner inneren Erneuerung unterstützen", sagt Wissmann. So könne die Union Ankara helfen, das Gesetzeswerk der EU, den Acquis communautaire, zu übernehmen. Auch der Austausch der Zivilgesellschaften und die kulturelle Verständigung müssten gefördert werden. "Dabei geht es nicht um Milliardenpakete", räumt der CDU-Abgeordnete ein, "aber doch um Hilfen, die politische Zeichen setzen."

Zudem möchte die Union die Türkei an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beteiligen. "Ankara könnte bei der Planung, beim Aufbau und bei den Führungskapazitäten der europäischen Eingreiftruppe gleichberechtigt mitmachen", sagt Wissmann. Auch in der Innen- und Justizpolitik könnte Ankara zum gleichberechtigten Partner werden. "Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, solange die Grenze zur Vollmitgliedschaft nicht passiert wird."

Doch was würden den Partner nach dem Unionskonzept noch vom offiziellen Familienmitglied unterscheiden? Wissmann nennt die Beteiligung an den politischen Institutionen. Ankara dürfte keine Abgeordneten nach Straßburg entsenden -- und keinen Kommissar nach Brüssel.

Die Begründung: "Eine Vollmitgliedschaft der riesigen, bevölkerungsreichen Türkei würde die EU grundlegend verändern. Eine weitere Vertiefung hin zu einer politischen Union wäre dann unmöglich." Kurz gesagt: CDU/CSU wollen die Türkei mithandeln, aber nicht mitentscheiden lassen.

Wissmann betont, dass auch Bundesregierung und EU-Kommission offensichtlich keine echte Vollmitgliedschaft anstrebten. Nach deren Plänen müsse die Türkei Abstriche bei der Regional- und Agrarförderung machen. Zudem sollen sich Türken -- vorerst -- nicht in beliebiger Zahl in anderen EU-Staaten niederlassen dürfen.

SPD-Politiker wie Kanzler Gerhard Schröder oder Ex-Erweiterungskommissar Günter Verheugen machten "ständig Vorschläge, die in der Substanz gar nicht auf eine Vollmitgliedschaft hinauslaufen", sagt Wissmann. In der Tat könnten die Pläne Berlins zu einer unterprivilegierten Vollmitgliedschaft führen.

"Die alte EU ist tot"

Peter Zervakis, Projektleiter in der Bertelsmann Stiftung, glaubt, "dass das Unions-Konzept viel zu spät kommt". Wenn man das Partnerschaftsmodell vor zehn Jahren, also vor der EU-Ost-Erweiterung, eingeführt hätte, würde es heute nicht nach Diskriminierung der Türken klingen, meint Zervakis. Nun habe Ankara ein Versprechen, Vollmitglied werden zu dürfen. Daran müsse man sich halten.

Zudem sei die Europäische Union bereits seit dem Big Bang -- der Aufnahme von zehn Staaten in diesem Frühjahr -- nicht mehr die alte EU, die sich im Gleichschritt vertiefe, sagt Zervakis. "Die alte EU ist tot." Dafür dürfe man nicht die Türkei verantwortlich machen. Regierung wie Opposition in Deutschland sollten sich nicht in Streitigkeiten über Vollmitgliedschaft und Partnerschaft ergehen -- sondern mit der Diskussion beginnen, wie das neue Europa gestaltet werden kann. Am Ende könnte eine polygame Kern-EU herauskommen -- mit vielen privilegierten Partnern.

© sueddeutsche.de/SZ vom 16.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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