AKW Brunsbüttel:Hunderte Mängel

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Die Atomaufsicht in Kiel hat die ehemals geheime Liste über den Atommeiler Brunsbüttel veröffentlicht. Die Liste der Defizite ist erschreckend.

Christopher Schrader

Die Atomaufsichtsbehörde in Kiel hat am Mittwoch eine zuvor geheime "Liste offener Punkte" veröffentlicht, die die Sicherheit des Kernkraftwerks Brunsbüttel betreffen. Das 141 Seiten lange Dokument enthält mehr als 700 Mängel, in denen die Betreiberfirma, die zum Energiekonzern Vattenfall gehört, Nachweise über die Sicherheit ihres Reaktors nachreichen muss.

Die Liste sei inzwischen weitgehend abgearbeitet, sagte Ministerin Gitta Trauernicht (SPD). Bundesumweltminister Sigmar Gabriel beklagte hingegen am Rande einer Reise durch Norddeutschland: "Das Enttäuschende ist, dass man nach einer so langen Zeit eine so lange Liste noch nicht abgearbeitet hat."

Die jetzige Vorlage des Berichts sei "kein Argument für Brunsbüttel" und schaffe kein Vertrauen. Jürgen Resch von der Organisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) sagte, mit Bekanntwerden der Mängelliste "erleben wir den Anfang vom Ende des Atomzeitalters in Brunsbüttel".

Über die Liste hatte es juristischen Streit gegeben: Die Umwelthilfe hatte beim Sozialministerium in Kiel, das die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein führt, im Jahr 2006 Akteneinsicht in die Liste beantragt. Vattenfall hatte die Freigabe der Akten aber durch eine Klage blockiert. Erst nachdem der Energiekonzern am Dienstag angekündigt hatte, die Klage zurückzuziehen, stellte Trauernichts Ministerium die Liste ins Internet.

Unabhängig davon drosselte Vattenfall am Mittwoch den Reaktor Brunsbüttel und nahm ihn vom Netz, um das Öl in einem Transformator auszutauschen. Beim Kraftwerk Krümmel östlich von Hamburg war Ende Juni ein ähnlicher Trafo in Brand geraten; seit einer übereilten Schnellabschaltung liegt der Reaktor still. Auch in Brunsbüttel hatte es am gleichen Tag nach einem Kurzschluss eine Schnellabschaltung gegeben. Weitere Störfälle beim Hochfahren hatten den Streit um die Mängelliste angeheizt.

Das jetzt freigegebene Dokument über die Sicherheit von Brunsbüttel datiert vom 30. Juni 2006 und ist als "Entwurf" gekennzeichnet. Es beschreibt 707 bei einer eingehenden Überprüfung 2001 festgestellte Defizite in den Nachweisen, wonach alle Anlagenteile in Ordnung seien.

Diese Defizite werden in vier Kategorien eingeteilt, je nachdem, ob sie sicherheitsrelevant sind und sofort behoben werden müssen (Kategorie 1) oder ob es sich um redaktionelle Fehler in Unterlagen handelt (Kategorie 4). Defizite der Kategorie 1 enthält die Liste nicht, ein Viertel falle aber in die Kategorie 2, die "kurzfristig zu beseitigen" sind, sagte Trauernicht. "Inzwischen hat der Betreiber der Aufsichtsbehörde und den Sachverständigen sämtliche Sicherheitsnachweise für die 185 Punkte der Kategorie 2 vorgelegt." 100 dieser Punkte seien nach Prüfung durch Gutachter abgeschlossen.

Diesen Stand spiegelt die veröffentlichte Liste nicht wider, die allerdings mehr als ein Jahr alt ist. Sie enthält 165 offene Mängel der Kategorie 2; zur Hälfte davon hatte sich der Betreiber im Juni 2006, fünf Jahre nach der Mängel-Feststellung, noch nicht geäußert.

Die Gutachter, die die Liste erarbeitet hatten, bezweifelten zum Beispiel die Qualität einer Schweißnaht und rügten, dass Sicherheitsparameter von Rohren falsch berechnet worden seien. Sie vermerken, dass die Sicherheit von Bauelementen des Reaktordruckbehälters nur plausibel gemacht und nicht berechnet sei. Auch für die Dimensionierung eines neu in den Deckel des Druckbehälters gelegten Flansches, also einer Rohrdurchführung, fehle der Sicherheitsnachweis.

In etlichen Fällen hatten die Gutachter gerügt, dass mögliche Konsequenzen von Störfällen nicht genau dokumentiert sind. So musste der Betreiber nachweisen, dass Restwärme von ausgetauschten Brennelementen auch abgeführt werden kann, wenn das Kraftwerk von außen angegriffen wird. Und es fehlten Unterlagen über die mögliche Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung für den Fall, dass Behälter mit strahlenden Flüssigkeiten Leck schlagen.

Für Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe bleibt die Sicherheit von Brunsbüttel auch nach Vorlage der Liste fraglich. "Mängel der Kategorie 2 sind Mängel der Kategorie 1 im Wartestand", sagt er. "Wenn die Gutachter die Nachweise ablehnen, die der Betreiber vorlegt, müssen die Mängel sofort behoben werden.

Und es sind aller Erfahrung nach immer Mängel dabei, wo der Nachweis nicht zu führen ist." Rosenkranz bezeichnete es als Skandal, dass Vattenfall in 85 Fällen mit dem Versuch, die Mängel abzustellen, jahrelang gewartet habe. Er vermutet, der Betreiber habe abwarten wollen, ob der Reaktor tatsächlich 2009 stillgelegt werden muss. Zu teuren Nachrüstungen, die die Mängelliste erfordert hätte, wäre der Energiekonzern nur bei einer Verlängerung bereit gewesen. "Dazu wird es nun nicht mehr kommen", erwartet der DUH-Sprecher. "Und weil die Liste bekannt ist, muss Vattenfall dennoch die Mängel beseitigen."

© SZ vom 19.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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