Agenda 2010:Was wirklich sozial ist

Lesezeit: 3 min

Auch wenn die Mehrheit der Genossen anderer Meinung ist: Mit der Arbeitsmarktreform "Hartz IV" ist Bundeskanzler Schröder auf dem richtigen Weg. Denn: Sozial ist, wer Arbeit schafft.

Von Marc Beise

Selbst seinem ärgsten Feind mag man nicht zumuten, was derzeit die Sozialdemokraten auszuhalten haben: Ein brutaler Liebesentzug schlägt ihnen entgegen - aus der eigenen Partei, von Stammwählern, aus weiten Teilen der Bevölkerung. Ausgerechnet die gute alte SPD, so die Klage, legt die Axt an die Wurzeln des Sozialstaates. Ausgerechnet unter einem sozialdemokratischen Kanzler werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Derart donnernd kommt der Vorwurf der Sozialdemontage daher, dass die Gegenposition jedenfalls im eher linken Lager kaum noch Gehör findet.

Dabei werden diese Vorwürfe weder der jetzt im Vermittlungsausschuss zwischen Regierung und Opposition beschlossenen Arbeitsmarktreform (zusammengefasst unter dem Stichwort "Hartz IV") gerecht noch anderen Maßnahmen der Regierung. Bundeskanzler Gerhard Schröder ist auf dem richtigen Weg. Dies darf man feststellen, ohne gnadenloser Wirtschaftsboss zu sein oder tumber Büttel des Großkapitals. Über Details kann man streiten.

Leistungen werden gestrichen, das ist wahr. Hartz IV heißt kurz gesagt: Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, erhält künftig nicht mehr - und zwar ohne Zeitlimit - eine vergleichsweise komfortable Arbeitslosenhilfe, sondern ist nach Aufbrauchen gewisser finanzieller Reserven auf die tendenziell niedrigere Sozialhilfe angewiesen. Nicht jede Kürzung von Ansprüchen aber ist sozial ungerecht. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, Millionen von Arbeitslosen eine Daueralimentierung zu gewähren. Vielmehr muss es darum gehen, ihnen die Rückkehr ins Berufsleben zu ermöglichen. Sozial ist nicht, wer nur Almosen verteilt. Sozial ist vor allem, wer Arbeit schafft.

Klare Verhältnisse

Der jetzt so heftig verteidigte Sozialstaat kann dies nicht mehr leisten - wie die Massenarbeitslosigkeit von mehr als vier Millionen Menschen beweist und insbesondere der immer höhere Sockel von Langzeitarbeitslosen. Hartz IV soll dies ändern. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden klare Verhältnisse geschaffen.

Durch die Verschärfung der Zumutbarkeit soll der Druck auf die Arbeitslosen erhöht werden, sich um einen Job zu bemühen. Durch die Anhebung der Möglichkeiten, dazu zu verdienen, wird die Chance gesteigert, wieder arbeiten zu können. In einzelnen Bereichen ist sogar eine Ausweitung des Angebots anzuerkennen. Auch jene, die früher nur Sozialhilfe bekamen und nun das Arbeitslosengeld 2, haben in Zukunft ein Anrecht auf Weiterbildungskurse oder den Zugang zu ABM-Maßnahmen.

Entscheidend für die Bewertung sind zwei Fragen: Sind diese und andere Maßnahmen überhaupt geeignet, Arbeit zu schaffen? Und schießen sie vielleicht unzulässig über das Ziel hinaus, indem sie etwa mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Eigentum kollidieren? Um mit Letzterem zu beginnen: Kritik wäre angebracht, wenn die neuen Regelungen den Bürgern (wie vielfach behauptet) auch noch das letzte Ersparte nehmen würden. Dies trifft so nicht zu. Nicht nur, dass mit Hartz IV einige Leistungen verbessert werden, auch hat die Regierung in ihrem berechtigten Wunsch, etwaiges Vermögen der Arbeitslosen bei der Bewertung der Bedürftigkeit anzurechnen, versucht, soziale Grenzen zu ziehen.

Riester-Rente wird bevorzugt

Die Notwendigkeit, für das Alter vorzusorgen, wird anerkannt. Ein Eigenheim, sofern es "angemessen" ist, soll unangetastet bleiben; so soll es auch bei anderen Formen der Altersvorsorge sein. Dabei sind die Regelungen aber nicht frei von Widersprüchen: Zum Beispiel müssen künftig Lebensversicherungen von einer bestimmten Höhe an aufgelöst werden. Zwar liegen die künftigen Freigrenzen höher als heute, aber noch längst nicht hoch genug. Und die einseitige Bevorzugung der Riester-Rente im neuen Recht ist nicht gerechtfertigt.

In der Summe handelt es sich um ein ausgewogenes Gesetzespaket. Wird es seinen Zweck erfüllen, Arbeit zu schaffen? Kurzfristig vermutlich nicht, denn Beschäftigungspolitik wirkt vor allem längerfristig. Weitere Flexibilisierung in diesem stark verkrusteten Politikfeld muss folgen. Bis dahin wird die reifere Arbeitnehmergeneration, die heute etwa 55-Jährigen und Älteren, es weiter schwer haben, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Aber was wäre die Alternative? Dass ihre Kinder ebenfalls auf der Straße stehen?

Die Wende am Arbeitsmarkt kommt spät, für viele Betroffene zu spät. Daran tragen Schröders erste vier rot-grüne Koalitionsjahre ebenso Schuld wie die Langzeit-Kanzlerschaft Helmut Kohls. Der Schröder der zweiten Legislaturperiode wagt den Umstieg, und er hält an diesem Kurs (noch?) fest. Scheitert er oder lässt er in seinen Reformbemühungen nach, wird alles nur noch schlimmer.

So gerne es die Sozialpolitiker aller Parteien hätten: Die Erde ist keine Scheibe, und Onkel Dagoberts Geldspeicher gibt es nicht. Dafür aber gibt es 1,4 Billionen Euro Staatsschulden und einen gnadenlosen Globalisierungsdruck auf die Unternehmen. Immerhin aber ist auch eine SPD-geführte Regierung zu erkennen, die mehr Mut hat als erwartet. Wahlen wird sie damit vorerst nicht gewinnen. Anerkennung hat sie verdient.

© SZ vom 2.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: