Afghanistan:Ratsversammlung verabschiedet neue Verfassung

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Gut zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft hat die Große Ratsversammlung in Kabul Afghanistan eine neue Verfassung gegeben. Nach wochenlangen Verhandlungen einigten sich die 502 Delegierten der so genannten Loja Dschirga in mehreren Streitpunkten auf Kompromisse.

Damit ebneten sie den Weg für die ersten freien Wahlen nach fast 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg.

Nach der neuen Verfassung ist Afghanistan eine "Islamische Republik". Das Grundgesetz mit seinen 162 Artikeln trägt aber in weiten Teilen liberalen Vorstellungen des Westens Rechnung.

Die Regierung wird künftig von einem Präsidenten geführt, der ähnlich wie in den USA mit weit reichenden Machtbefugnissen ausgestattet ist.

Bei diesem am heftigsten umstrittenen Punkt setzte sich Präsident Hamid Karsai durch, der gedroht hatte, andernfalls bei den im Juni geplanten Wahlen nicht zu kandidieren.

Bisher war die Macht des Präsidenten auf den Großraum der Hauptstadt Kabul beschränkt, während die Entscheidungsgewalt in den Provinzen bei den Führern ethnischer Gruppen lag.

Der Präsident hat zwei Stellvertreter. Einen Ministerpräsidenten wird es nicht geben.

Der Präsident ist einer der beiden Kammern des Parlaments verantwortlich.

Das Zwei-Kammer-Parlament besteht aus dem Unterhaus, dem "Haus des Volkes" (Wolesi Dschirga), und dem Oberhaus, dem "Haus der Ältesten" (Meschrano Dschirga).

Das Unterhaus soll von der Bevölkerung gewählt werden und hat das Recht, über Minister-Ernennungen des Präsidenten abzustimmen und Amtsenthebungsverfahren gegen sie einzuleiten.

"Quelle der Hoffnung"

Der Islam wird Staatsreligion.

Gleichzeitig wird Anhängern anderer Religionen aber das Recht auf Ausübung ihres Glaubens zugestanden.

Das Wort Scharia, die islamische Rechtsprechung, findet sich nicht in der neuen Verfassung. Jede Form der Diskriminierung ist verboten, Frauen und Männern werden die gleichen Rechte zugestanden.

"So weit es möglich war, spiegelt die neue Verfassung die Forderungen ganz Afghanistans wider", sagte Präsident Karsai.

Der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Lakhdar Brahimi, meinte an die Adresse der Delegierten: "Sie können stolz sein auf das, was Sie geleistet haben."

Die Afghanen könnten die neue Verfassung "als eine neue Quelle der Hoffnung" betrachten.

Der frühere afghanische König Sahir Schah bekommt laut Verfassung den Titel "Vater der Nation". Regierungsmitglieder dürfen nur die afghanische Staatsbürgerschaft haben.

Landesweite Amtssprachen werden Paschtu, die Sprache der Paschtunen, und Dari, die Sprache der tadschikischen Volksgruppe.

In Gegenden, wo es eine Mehrheit bestimmter anderer Volksgruppen gibt, wird deren Sprache zur dritten Amtssprache. Über diesen Punkt hatten die mehrheitlich gewählten Delegierten bis zuletzt gestritten.

Nach der Einigung der Delegierten wollen der frühere König und Karsai die Verfassung feierlich unterzeichnen und verkünden. Ein Termin für die Zeremonie stand noch nicht fest.

© SZ vom 5. 1. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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