Abschusspläne des Verteidigungsministers:Innenministerium stützt Jungs Rechtsauffassung

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Verteidigungsminister Jung will in Terrorabsicht entführte Passagierflugzeuge abschießen lassen - notfalls auch ohne gesetzliche Grundlage. Das Innenministerium hält einen solchen Einsatz für zulässig. In anderen Parteien und bei den Jetpiloten stößt Jung hingegen auf heftigen Widerstand.

Das Bundesinnenministerium stützt die Rechtsauffassung von Verteidigungsminister Franz Josef Jung zum Abschuss eines für einen Terror-Angriff gekaperten Flugzeuges. Ministeriums-Sprecher Stefan Kaller sagte in Berlin, ein übergesetzlicher Notstand lasse in einer extremen Bedrohungslage des Staates einen Einsatz zu, wie ihn Jung aufgeworfen habe.

Verteidigungsminister Jungs Flugzeugabschuss-Pläne sind heftig umstritten (Foto: Foto: AP)

Beim Koalitionspartner, in anderen Parteien und beim Verband der Jetpiloten stößt Jungs hingegen mit seinem Plan auf deutliche Ablehnung. Jungs Absicht komme einer "Aufforderung zur Erfüllung eines rechtswidrigen Befehls gleich", sagte Thomas Wassmann, Vorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Deutschen Bundeswehr (VBSK), der Leipziger Volkszeitung.

"Ich kann den Piloten nur empfehlen, in einem solchen Fall dem Befehl des Ministers nicht zu folgen", meinte Wassmann. Piloten, die sich so verhielten, könnten "mit der vollen Solidarität des Verbandes" rechnen. Er empfinde es "als merkwürdig, dass ein Minister nicht in der Lage sei, trotz aller seiner Parteibeziehungen in den zuständigen Gremien eine Entscheidung herbeizuführen, um eine rechtlich saubere Klärung in der Sache zu organisieren", kritisierte Wassmann.

Die Grünen forderten bereits den Rücktritt des Verteidigungministers. Ihr Vorsitzender Reinhard Bütikofer sagte dem Fernsehsender n-tv: "Ich muss gestehen, ich bin fassungslos, wie der Minister mit der Verfassung umgeht." Das Bundesverfassungsgericht habe klar entschieden, dass das sogenannte Luftsicherheitsgesetz verfassungswidrig sei.

"Schlicht bodenlos"

Bütikofer fügte hinzu: "Wenn jetzt der Minister einfach so tut, als gehe ihn das nichts an, und wenn er bestimmt, die freiheitlich demokratische Grundordnung sei in Gefahr, dann müsse er sich auch nicht mehr daran halten, dann ist das schlicht bodenlos. Ich finde ein solcher Minister kann keine Verantwortung tragen, der muss weg."

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Berlins Innensenator und Ehrhart Körting (SPD), bezeichnete die Diskussion um Jungs Abschuss-Absicht als "Gespensterdebatte". Das Bundesverfassungsgericht habe 2006 die im Luftsicherheitsgesetz vorgesehene Abschussmöglichkeit gekippt und sich dabei auf Artikel 1 des Grundgesetzes gestützt, erklärte Körting nach Angaben seiner Sprecherin in Berlin.

Dieser Artikel sei nicht veränderbar. "Wir sollten uns auf das konzentrieren, was verfassungsrechtlich möglich ist, und keine Gespensterdebatten führen", sagte Körting. Artikel 1 lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Auch der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz kritisierte Jungs Pläne scharf. In der Passauer Neuen Presse bezeichnete er dessen Äußerungen als "grenzwertig und hoch problematisch" und warf dem Minister "Aufruf zum Verfassungsbruch" vor.

"Wir haben eine Verfassungsgerichtsentscheidung, die uns solcher Diskussionen völlig enthebt", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) der Nachrichtenagentur ddp in Würzburg. Daher sei dazu nichts zu sagen, "außer auf die geltende Verfassungslage hinzuweisen, die seine (Jungs) Aussage nicht deckt".

SPD-Fraktionschef Peter Struck nannte Jungs Äußerungen zum Abschuss von Passagierflugzeugen im ZDF eine "unglückliche Äußerung". Auch er verwies auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Luftsicherheitsgesetz mit der vorgesehenen Möglichkeit des Abschusses 2006 gekippt wurde.

"Das Urteil aus Karlsruhe hat klar gesagt: Unschuldige Menschen dürfen nicht getötet werden." Jungs Position "verletzt auch die Rechte eines Piloten, der kann sich doch nicht strafbar machen".

"Mutige Aussage"

Dagegen nahm Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU)Verteidigungsminister Jung gegen Kritik an seinen Äußerungen zum Abschuss von entführten Passagierflugzeugen in Schutz. "Hier gibt es Schutzlücken, die wir solange nicht schließen können, bis sich die SPD endlich bewegt", sagte Bosbach dem Blatt.

Er forderte die SPD auf, einer Grundgesetzänderung beim Thema Luftsicherheit ebenso zuzustimmen wie rechtlichen Änderungen für die Online-Durchsuchung im Anti-Terror-Kampf.

Unionsfraktionschef Volker Kauder äußerte sich vorsichtig über die Ankündigung seines Parteifreundes. "Dass ein Bundesverteidigungsminister eine so mutige Aussage machen muss zum Schutz der Bevölkerung, zeigt doch aber, wie groß der Handlungsbedarf nach einer gesetzlichen Grundlage ist", sagte er in der ARD.

Jung hatte sich im Magazin Focus auf das "Recht des übergesetzlichen Notstands" berufen. Zwar habe das Verfassungsgericht einen Abschuss nur für den Fall erlaubt, dass keine Passagiere an Bord seien. Aber im Notfall gälten andere Regeln.

In der ARD bekräftigte er seine Sicht noch einmal: Es brauche eine Klarstellung in der Verfassung - "solange es die nicht gibt, muss der Staat handlungsfähig sein". Er fügte hinzu: "Es geht nicht darum, Angst in der Bevölkerung zu bewirken." Vielmehr müssten die Sicherheitskräfte auf die Gefahrenlage vorbereitet werden. Er sei sich bei seiner Position "völlig einig mit dem Bundesinnenminister", im Kabinett bestehe dazu aber kein Konsens.

"Schäuble soll sich zurückhalten"

Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) steht wegen seiner Warnung vor einem möglichen Terroranschlag mit Nuklearmaterial weiter in der Kritik. Struck kann sein Szenario "nicht nachvollziehen", wie er ZDF sagte. "Es gibt keine Notwendigkeit, unnütze Panik zu verbreiten."

Der Innenausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) sagte im Berliner Tagesspiegel: "Wenn der Bundesinnenminister konkrete Hinweise hat, sollte er intern tätig werden." Der SPD habe er bei der letzten Besprechung in der vergangenen Woche aber nichts davon gesagt. "Wenn er keine konkreten Hinweise hat, sollte er sich zurückhalten."

Justizministerin Zypries sagte mit Blick auf Schäubles Aussage, viele Fachleute rechneten mit einem solchen Anschlag: "Nach meiner Kenntnis der Sicherheitslage ist das nicht so." Zypries betonte, weder die Aussage Schäubles noch die Forderung Jungs seien mit ihr abgesprochen gewesen. Sie plädierte dafür, etwas mehr Ruhe in die Sicherheitsdebatte zu bringen, statt die Menschen ständig mit neuen Vorschlägen zu verunsichern.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nannte Schäubles Äußerung im Tagesspiegel "unverantwortlich". "Wer Weltuntergangsszenarien an die Wand malt und gleichzeitig zu Gelassenheit aufruft, wird zu einer unkalkulierbaren Größe in der deutschen Innenpolitik."

© AFP/ddp-bay/dpa/AP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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