Abrüstungspolitik:Fünf Schritte zur globalen Null

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Nur wenn die Atommächte ihre Pflicht ernst nehmen, ihre Arsenale drastisch zu reduzieren, kann es gelingen, die schrecklichsten Waffen, die je erfunden wurden, wieder abzuschaffen.

Mohamed El Baradei

Man stelle sich vor: Ein Land oder eine Gruppe Länder geben bekannt, sie planten, vom Atomwaffensperrvertrag zurückzutreten, um sich Atomwaffen zuzulegen unter Verweis darauf, die internationale Sicherheitslage habe sich gefährlich verschlechtert.

Mohamed El Baradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde. (Foto: Foto: Reuters)

"Keine Sorge", entgegnen sie einer schockierten Welt, "der grundlegende Zweck unserer nuklearen Streitkräfte ist politischer Art: Wahrung des Friedens und Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg. Nukleare Streitkräfte werden weiterhin eine wesentliche Rolle spielen, indem sie dafür sorgen, dass ein Angreifer im Ungewissen darüber bleibt, wie wir auf einen militärischen Angriff reagieren würden."

Vom Atomwaffensperrvertrag zurückzutreten ist ein drastischer Schritt, aber jede Vertragspartei hat das Recht dazu, wenn sie es drei Monate im Voraus ankündigt und sich darauf beruft, dass "außergewöhnliche Ereignisse" die höchsten Interessen des Landes gefährden.

Der internationale Aufruhr, den ein solcher Schritt nach sich ziehen würde, ist vorhersehbar. Dennoch entstammt die Begründung für Atomwaffen, die ich gerade wiedergegeben habe, dem derzeit geltenden strategischen Konzept der Nato. Auf eine ähnliche Argumentation stützen sich die Militärdoktrinen der anderen Staaten, die Atomwaffen besitzen.

Die offensichtliche Frage lautet deshalb: Wenn führende Mächte der Welt glauben, ihre Sicherheit hänge davon ab, dass sie Atomwaffen besitzen, die unseren gesamten Planeten vernichten können, wenn sie ihre Nuklear-Arsenale weiter modernisieren und verbessern und sogar an ihrem tatsächlichen Einsatz forschen, wie können wir dann glaubwürdig von anderen Nationen erwarten, dass sie für die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit für immer darauf verzichten, nach eben diesen Waffen zu streben?

Die simple Antwort ist: Wir können es nicht. Der einzige Weg, zu verhindern, dass Atomwaffen weiterverbreitet und letztlich eingesetzt werden, ist, sie abzuschaffen. Zugleich müssen wir ein umfassendes und gerechtes System internationaler Sicherheit schaffen, in dem sich kein Land auf Atomwaffen angewiesen sieht.

Glücklicherweise gewinnt die Idee zunehmend Kraft, dass die Abschaffung aller Atomwaffen nicht nur ein utopisches Ideal ist, sondern dass sie sowohl möglich als auch notwendig ist. Nicht allein das Quartett Henry Kissinger, George Shultz, Sam Nunn und William Perry in den USA, sondern auch andere bedeutende Persönlichkeiten wie Michail Gorbatschow, Helmut Schmidt, Fernando Cardoso und Desmond Tutu haben dazu aufgerufen, sie zu verschrotten.

Es ermutigt mich sehr, dass Präsident Obama sich klar dazu bekannt hat, er wolle die Abschaffung aller Atomwaffen zu einer zentralen Maxime seiner Politik erheben. Was also brauchen wir als internationale Gemeinschaft, um auf dieser neu gewonnenen Dynamik aufzubauen?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche fünf Maßnahmen El Baradei für den künftigen Umgang mit der Abschaffung von Atomwaffen vorschlägt.

Erstens müssen die Abrüstungsverhandlungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten wieder aufgenommen werden. Trotz der großen Reduzierungen der vergangenen 20 Jahre gibt es noch immer 27.000 Atomwaffen auf der Welt, davon 95 Prozent in den Händen dieser beiden Länder. Das Ziel für die Anfangsphase könnte sein, dass beide Seiten ihre Arsenale nachprüfbar auf 1000 oder sogar 500 Sprengköpfe verringern. Dies muss flankiert werden, indem der Atomwaffenteststopp-Vertrag in Kraft gesetzt wird, was längst überfällig ist, und Verhandlungen über einen Vertrag beginnen, der nachprüfbar die Produktion von spaltbarem Material für Atomwaffen untersagt.

Zweitens müssen wir einen Mechanismus schaffen, der eine multinationale Kontrolle über die Produktion spaltbaren Materials sicherstellt. Dies würde der sich beschleunigenden Entwicklung entgegenwirken, dass immer mehr Staaten atomwaffenfähig werden, indem sie Technologie erwerben, die sich auch eignet, binnen Monaten Atomwaffen herzustellen, wenn sie sich dafür entscheiden. Ein multinationaler Mechanismus für Versorgungssicherheit muss gewährleisten, dass alle Länder, die friedlich die Atomenergie nutzen wollen, garantierten Zugang zu nuklearem Brennstoff haben, ohne dass sie über eine eigene Urananreicherung oder Wiederaufarbeitungstechnologie verfügen, mit der sich Plutonium gewinnen lässt. Um aber erfolgreich zu sein, muss dieser Mechanismus universell, gerecht und unpolitisch sein.

Drittens müssen wir spaltbares Material weltweit viel besser sichern. Der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sind mehr als 1500 Fälle gemeldet worden, bei denen spaltbares oder strahlendes Material auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurde oder bei anderen illegalen Handlungen eine Rolle gespielt hat - und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Das größte Risiko, dem wir gegenüberstehen, ist, dass sich eine Terrorgruppe strahlendes oder spaltbares Material verschaffen könnte - das sie zweifelsohne einsetzen würde, weil das Prinzip der Abschreckung für sie irrelevant ist. Deshalb müssen alle Staaten der Sicherung dieser Stoffe größte Wichtigkeit einräumen.

Viertens müssen die rechtlichen Befugnisse, die technische Ausstattung und die finanziellen Mittel der IAEA wesentlich verbessert werden, damit sie glaubhaft sicherstellen kann, dass einerseits Länder nicht heimlich Atomwaffen entwickeln und dass Atomkraft andererseits gemäß den höchsten Sicherheitsstandards genutzt wird. Vergangenes Jahr hat eine Gruppe hochrangiger unabhängiger Experten einen Bericht zur Zukunft der Behörde erstellt. Sie hat gefordert, das Budget der IAEA solle bis zum Jahr 2020 verdoppelt werden, zudem brauche die Agentur sofort eine Finanzspritze von 80 Millionen Dollar, um ihre marode Infrastruktur zu erneuern.

Fünftens müssen wir zurückkehren zu einem Sicherheitssystem, das auf wirklichem Multilateralismus fußt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen muss drastisch reformiert werden, damit die Welt sich darauf verlassen kann, dass er die vorrangige Institution ist, um den internationalen Frieden und die Sicherheit zu wahren, wie es die UN-Charta vorsieht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was El Baradei von den fünf Nuklearmächten erwartet.

Staaten, die Atomwaffen besitzen, sollten demonstrieren, dass sie vorhaben, ihrer rechtlichen und moralischen Verpflichtung zur Abschaffung dieser Waffen gerecht zu werden.

Vor allem die fünf Nuklearmächte des Atomwaffensperrvertrags sollten zeigen, dass sie ihre 40 Jahre zurückreichende Pflicht ernst nehmen, ihre Atomwaffen zu verschrotten - indem sie zumindest einige der genannten Schritte gehen, bevor im Jahr 2010 die Überprüfungskonferenz beginnt. Die Aufteilung in Atomwaffenstaaten und nukleare Habenichtse ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten.

Nicht über Nacht alle Atomwaffen abschaffen

Einwände werden vorgebracht, die Abschaffung aller Atomwaffen könne destabilisierend wirken und einen großen konventionellen Krieg wahrscheinlicher machen. Niemand behauptet, wir könnten über Nacht alle Atomwaffen abschaffen. Das aber ist keine Rechtfertigung, ihre Zahl in der Welt nicht drastisch zu reduzieren und konkrete Schritte einzuleiten, ihre Rolle in Militärdoktrinen zu vermindern statt zu stärken.

Schließlich sollte es nicht jenseits des Einfallsreichtums der Menschheit liegen, herauszufinden, wie man die Welt ohne Atomwaffen sicherer macht - nicht zuletzt indem wir den Ursachen von Unsicherheit und Ungleichheit einen genauen Blick widmen.

Die Welt hat bereits den Besitz sowohl chemischer als auch biologischer Waffen verboten. Es wäre eine unvorstellbare Tragödie, würde uns nicht das Gleiche gelingen mit den schrecklichsten Waffen, die je erfunden wurden.

Mohamed El Baradei ist Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde. Er gibt seine persönliche Meinung wieder.

© SZ vom 4.2.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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