Abgastricksereien:Brüssel geht im VW-Skandal gegen Deutschland vor

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Weil Berlin die Autokonzerne zu lax kontrolliert haben soll, leitet die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein.

Von Markus Balser und Alexander Mühlauer, Berlin/Brüssel

Bei der Aufarbeitung des Abgasskandals hat die EU-Kommission der Bundesregierung schwere Versäumnisse vorgeworfen. Weil Deutschland den Autokonzern Volkswagen nicht für die Manipulation von Schadstoffwerten bestraft habe, leitete die Behörde am Donnerstag ein Vertragsverletzungsverfahren ein. "Für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sind in erster Linie die Automobilhersteller verantwortlich", sagte EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska. "Die nationalen Behörden in der EU müssen jedoch darüber wachen, dass die Automobilhersteller die Rechtsvorschriften auch tatsächlich einhalten." Dies sei bei Deutschland und sechs weiteren EU-Staaten nicht der Fall. Die Kommission geht davon aus, dass europäisches Recht verletzt wurde.

Deutschland muss nun ebenso wie Tschechien, Litauen, Griechenland, Luxemburg, Spanien und Großbritannien innerhalb von zwei Monaten auf die Vorwürfe reagieren. Nach dieser Frist kann die EU-Kommission das Verfahren verschärfen und am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen.

Im Fall von Berlin und London sieht die Kommission noch einen weiteren Gesetzesverstoß. Beide Länder hätten der Behörde in ihren nationalen Untersuchungsberichten nicht sämtliche bekannten Informationen zur Verfügung gestellt. Konkret gehe es um "potenzielle Unregelmäßigkeiten bei Stickoxid-Emissionen von Fahrzeugen der Volkswagen-Gruppe und anderer Autohersteller in ihren Staatsgebieten". Deutschland und das Vereinigte Königreich hätten trotz Aufforderung der Kommission Informationen zurückgehalten. Die EU-Kommission will nachvollziehen können, ob die gewährten Ausnahmen für den Einsatz sogenannter Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen wirklich nötig waren.

Aus der Bundesregierung kam harte Kritik am Beschluss der Kommission. Deutschland habe als einziges europäisches Land einen umfassenden Katalog mit Sofortmaßnahmen gegen unzulässige Abschalteinrichtungen umgesetzt, sagte ein Sprecher. VW habe die Auflage bekommen, die betroffenen Autos auf eigene Kosten umzurüsten. Der Konzern muss deshalb 2,4 Millionen Autos in die Werkstätten rufen. Bei weiteren 630 000 Autos hätten sich die Hersteller der Regierung gegenüber zu Rückrufaktionen verpflichtet. Aus Regierungskreisen verlautete, die Verärgerung sei groß, dass die Kommission erst mit vielen Jahren Verzögerung auf die Umsetzung der Richtlinie von 2007 reagiere.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte von Brüssel, die EU-Richtlinien gegen den Abgasbetrug zu verschärfen. Berlin hält vor allem die Vorschriften zum Verbot von Abschalteinrichtungen für nicht ausreichend. Um den Einsatz der Software zu verhindern, müsse die Regelung verschärft werden. Ziel sei es, die Ausnahmen massiv einzuschränken, die mit Motorschutz begründet werden können. Der Kommission sei diese Forderung Deutschlands, die mittlerweile auch von Frankreich unterstützt wird, bekannt.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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