89 Tote:Russland rätselt über Flugzeugabstürze

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Nach zwei Flugzeugabstürzen binnen weniger Minuten mit insgesamt 89 Toten ermitteln die Behörden auch wegen eines Anschlags. Fünf Tage vor der Präsidentenwahl in Tschetschenien wurde zwar von offizieller Seite die Möglichkeit von Terrorakten nicht intensiv erörtert. Doch deuten nach Einschätzung von Experten und Parlamentariern die Umstände der Abstürze auf Anschläge hin.

Moskau (SZ) - Der russische Inlandsgeheimdienst FSB erklärte, es werde auch der Frage nachgegangen, ob technisches oder menschliches Versagen zu den Abstürzen geführt habe.

Der fast gleichzeitige Absturz der beiden Passagierflugzeuge verstärkte die Sorge vor einer neuen Terrorwelle tschetschenischer Separatisten. Der russische Präsident Wladimir Putin beauftragte den Inlandsgeheimdienst FSB mit den Ermittlungen.

Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow sagte im Fernsehen, auch der Möglichkeit eines Terroranschlags werde nachgegangen. Der Sprecher des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Sergej Ignattschenko, betonte, "bislang hat die Untersuchung der Flugzeugtrümmer keine Anzeichen für einen Terrorakt oder eine Explosion erbracht".

Beide Flugzeuge waren am Dienstagabend nach dem Start vom Moskauer Flughafen Domodedowo in Richtung Südrussland gegen 23 Uhr Ortszeit (21Uhr MESZ) abgestürzt. Die größere Maschine, eine Tupolew-154, habe kurz zuvor Alarm ausgelöst, teilte die betroffene Fluglinie Sibir mit. Die Maschine war nach Sotschi am Schwarzen Meer unterwegs, wo Putin gerade Urlaub machte. Der Präsident kehrte wegen der Abstürze nach Moskau zurück. Das Wrack der Tupolew-154 wurde nahe Gluboki im Gebiet Rostow am Don gefunden.

Tschetschenische Drohungen

Die Experten interpretierten das Notsignal der Tupolew-154 kurz vor dem Absturz unterschiedlich. Oleg Jermolow vom Zwischenstaatlichen Luftfahrtausschusses sagte, das Signal deute lediglich auf eine "gefährliche Situation an Bord" hin.

Dabei könne es sich um eine Entführung oder ein gravierendes technisches Problem handeln. Die Fluggesellschaft Sibir erklärte auf ihrer Website, sie habe eine Nachricht von der militärischen Abteilung der Flugüberwachung erhalten, wonach das Signal für eine Entführung der Maschine aktiviert worden sei. Das Unternehmen "schließt die Möglichkeit eines Terroraktes nicht aus", hieß es.

Die zweite Maschine, eine kleinere Tupolew-134, sollte mit 43 Menschen an Bord nach Wolgograd fliegen. Das Flugzeug der Regional-Airline Wolga-Awiaexpress stürzte 200 Kilometer südlich von Moskau bei Butschalki ab.

Bewohner berichteten von lauten Knallen in der Luft. An den beiden 600 Kilometer voneinander entfernten Absturzstellen bargen Helfer im Laufe des Mittwochs zahlreiche Leichen. Die Flugschreiber beider Maschinen wurden nach offiziellen Angaben nach Moskau geschickt, wo sie ausgewertet werden sollen.

"Selbst wenn es ein Terrorakt war, haben der tschetschenische Widerstand und vor allem (Ex-Präsident Aslan) Maschadow damit nichts zu tun", sagte ein Sprecher Maschadows, Achmed Sakajew, dem Radiosender Echo Moskwy.

Tschetschenische Rebellen hatten für die Zeit vor der Präsidentenwahl am nächsten Sonntag Anschläge angedroht. In Tschetschenien soll ein Nachfolger für den ermordeten Moskau-treuen Präsidenten Achmat Kadyrow gewählt werden. Der Kreml will den bisherigen tschetschenischen Innenminister Alu Alchanow als neues Oberhaupt durchsetzen.

FSB-Sprecher Ignattschenko erklärte, ein Pilotenfehler, technische Probleme oder schlechter Treibstoff könnten das Unglück verursacht haben. Technische Defekte gleich an zwei Maschinen seien wenig wahrscheinlich, sagte dagegen ein westlicher Luftfahrtexperte in Moskau.

Die Trümmer seien wie nach einer Explosion weit verstreut worden. Auch die Gleichzeitigkeit deute auf absichtlich verursachte Abstürze hin, so der Experte. Russische Abgeordnete sagten, sie gingen von einem Anschlag aus. "Das war vermutlich ein Terrorakt", betonte der Chef der oppositionellen Kommunistischen Partei, Gennadij Sjuganow.

"Die Flugzeuge wurden vor dem Start den Sicherheitskontrollen gemäß den Bestimmungen der russischen Luftfahrtbehörden unterzogen", erklärte ein Sprecher des Flughafens Domodedowo. Es seien keine Abweichungen festgestellt worden. An Russlands Flughäfen wurden nach den Abstürzen die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.

© SZ vom 26.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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