500 Jahre Schweizergarde:Stramm an der Seite des Papstes

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Die behelmten Gardisten sind mehr als bunte Folklore - sie schützen den Pontifex mit modernsten Mitteln

Stefan Ulrich

Wenn Elmar Mäder an seinem Schreibtisch sitzt, blicken 500 Jahre Geschichte auf ihn herab. An den Wänden des Büros hängen die Porträts aller früheren Kommandanten der Schweizergarde - der Elitetruppe des Papstes.

"Sie beobachten mich, wie ich hier arbeite", sagt Mäder und blinzelt zu den 32 Männern empor, als seien es seine Kameraden. Grimmige Kämpfernaturen sind darunter, in Helm und Harnisch, altväterliche Herren mit gefältelten Halskrausen und höfisch wirkende Adelige mit gepuderten Perücken.

Oberst Mäder fällt ein bisschen aus der Reihe, wie er so dasitzt mit seinen kurzen schwarzen Haaren, dem gedeckten Anzug und der Krawatte. Ein Mann der Moderne. Doch sein Auftrag ist derselbe wie vor einem halben Jahrtausend: "Wenn der Papst heil bleibt, haben wir unsere Pflicht erfüllt."

Legionäre aus der Schweiz galten als unbesiegbar

An diesem Sonntag ist es auf den Tag 500 Jahre her, dass die ersten Schweizer in den Kirchenstaat einrückten. Das wird mit einer Messe in der Sixtinischen Kapelle und später in diesem Jahr mit allerlei Festen und Ausstellungen gefeiert. Papst Julius II. hatte die ersten Schweizer 1506 gerufen, um sich in gewalttätigen Zeiten schützen zu lassen. Legionäre aus der Schweiz wurden damals von vielen Kriegsherren bevorzugt. Sie galten als mutig, treu und nahezu unbesiegbar.

Die "Svizzeri" sollten ihrem Ruf rasch gerecht werden und beweisen: Die Garde ergibt sich nicht. Der "Sacco di Roma" - die Plünderung Roms 1527 - wurde zu ihrer Bluttaufe. Am 6. Mai jenes Jahres stürmten Landsknechte von Kaiser KarlV. die Stadt. Die Garde stellte sich der Übermacht. Klemens VII. musste erleben, wie seine Gardisten vor dem Hochaltar von Sankt Peter niedergemetzelt wurden. Dank des Einsatzes der Schweizer gelang dem Papst die Flucht in die Engelsburg. 147 Gardisten starben.

Seither ist der 6. Mai der Feiertag der Garde, an dem die Rekruten vereidigt werden. Auch dieses Jahr werden die Burschen schwören, sich mit aller Kraft für die Päpste einzusetzen, "bereit, wenn es erheischt sein sollte, selbst mein Leben für sie hinzugeben".

Die 110 Mann starke Truppe wird sich dann wieder von ihrer pittoresken Seite zeigen. Die Männer tragen silberne Helme mit Straußenfedern, Brustpanzer und die berühmten Gala-Uniformen in Blau-Rot-Gelb, den Farben der Medici. Aus 154 Teilen werden diese Prachtstücke genäht. Die Legende sagt, Michelangelo habe sie entworfen. Doch das lässt sich nicht belegen. "Michelangelo hatte viele Qualitäten, aber er war kein Schneider", meint der Gardist Christian Roland Marcel Richard, der ein Buch über die Garde verfasst hat.

Relikt der Renaissance

Von ihrer Gala-Seite her kennt die ganze Welt die Gardisten. Als Ehrenwachen stehen sie stramm und regungslos vor den Eingängen zum Vatikan, bei Audienzen auf dem Petersplatz oder bei Messen im Dom. Beliebte Fotomotive der Touristen, bunte Relikte der Renaissance, Staffage eines Operettenstaates?

Oberst Mäder winkt ab. Nur acht Prozent ihrer Zeit verbrächten seine Männer mit diesem Ehrendienst, 80 Prozent dagegen mit Sicherheitsaufgaben. Die Vatikan-Zugänge, den Apostolischen Palast und den Papst müssen sie schützen; und das tun sie nicht mit ihren Hellebarden, Lanzen und Schwertern, sondern mit modernstem Gerät - und Feuerwaffen.

"Wir sind genauso fit wie andere Sicherheitsdienste", sagt der 42 Jahre alte Kommandant. Seine Personenschützer werden in der Schweiz trainiert. Zudem pflegt die Garde gute Kontakte zur Leibwache des amerikanischen Präsidenten. In Rom üben die Schutzengel des Heiligen Vaters Karate und Judo, manchmal schießen sie im Keller ihrer Kaserne im Vatikan. Am wichtigsten aber sei die langjährige Erfahrung, sagt Mäder. Personenschützer müssten "alte Hasen" sein.

Sicherheitstechnisch ist die Bewachung des Papstes ein Albtraum. Der weiß gekleidete Pontifex sticht aus jeder Menge heraus - und ist zugleich in engstem Kontakt mit Abertausenden Menschen. Also gelte es, die Augen überall zu haben, sagt der Oberst.

1,74 Körpergröße und ein tadelloser Ruf

"Wenn etwas passiert, lautet unsere Doktrin: Der Papst muss aus der Schusslinie." Die größte Bedrohung sieht der Kommandant weniger in Islamisten als in Geisteskranken. "Es gibt Menschen, die legen es darauf an, ein Sicherheitssystem zu knacken, so wie Hacker einen Computer knacken."

Treue bis in den Tod - der alte Schwur kann für die Schweizer also auch heute Bedeutung gewinnen. Zudem ist der Dienst nur bedingt attraktiv. Die Gardisten sind kaserniert, haben lange, unregelmäßige Arbeitszeiten - und reich werden sie gewiss nicht. Dennoch bewarben sich in letzter Zeit genügend junge, unverheiratete katholische Schweizer mit mindestens 1,74 Metern Körpergröße und untadeligem Ruf.

Jean Daniel Dürr etwa, ein 27 Jahre alter Thurgauer. Beim Militär fiel ihm ein Anwerbe-Prospekt der Armee des Papstes in die Hände. 2004 zog er im Rekrutenschlafsaal der Vatikan-Kaserne ein. "Ich wollte in einer Weltstadt leben, eine Fremdsprache lernen und mit vielen Menschen zusammenkommen", erzählt er. "Und dann war ich schon immer in christlichen Vereinen aktiv. Nun wollte ich die katholische Kirche ganz aus der Nähe kennen lernen." Seinen Entschluss habe er nie bereut.

Joggen in den Gärten des Vatikans

Sein Kamerad Erwin Niederberger meint jedoch: "Jeder, der hierher kommt, hat eine genaue Vorstellung. Doch dann ist alles anders." Besonders die Nachtdienste bereiteten vielen Probleme. "Es ist schwer, wenn man fünf, sechs Stunden allein im Apostolischen Palast wacht." Manchem Gardisten gelinge es auch nicht, Rom zu entdecken. "Die gehen dann nach zwei Jahren zurück in die Schweiz und haben nichts aus ihrer Zeit hier gemacht."

Dabei könne, wer wolle, hier so viel unternehmen, sogar mitten im Vatikan. Zum Joggen seien die Gärten zwar ein wenig hüglig, und manchmal laufe einem ein Kardinal über den Weg. Doch es gebe in der Kaserne einen Fitnessraum, eine Bibliothek und ein Spielzimmer mit Billardtisch, außerdem Tennisplätze auf dem Vatikangelände.

Auch der Ehrendienst an den Pforten ist interessanter als es scheinen mag. Niederberger erinnert sich an ein besonderes Erlebnis. Einmal, er schob am Bronzetor Wache, stellte sich eine Besucherin als Jungfrau Maria vor und forderte, den Papst zu sprechen. Niederberger vertröstete sie, doch die Frau blieb in der Nähe.

Kurz darauf kam ein Mann und gab sich als Jesus aus. "Schauen Sie, da steht Ihre Mutter", antwortete ihm Niederberger. "Jesus" und "Maria" gerieten in Streit, jeder schrie, der andere sei ein Hochstapler, der verhaftet werden müsse.

Eine echte Tragödie spielte sich bei den Svizzeri im Mai 1998 ab. Damals wurden die Leichen des Kommandanten Alois Estermann, seiner Frau und eines Gardisten gefunden. Der Vatikan befand, der Gardist habe in einer "Attacke des Wahnsinns" das Ehepaar erschossen und Selbstmord begangen. Diese Version wird vielfach angezweifelt.

Die Spekulationen sprießen, von einer Homosexuellen-Affäre oder einer Kirchenintrige ist die Rede. Mäder verweist auf die abgeschlossenen Ermittlungen der Kirche und sagt: "Diese Wunde ist verheilt."

Mit der Moral der Truppe stand es seinerzeit jedoch nicht zum Besten. Von Frustration unter den Schweizern über ein zu strenges Regiment war die Rede, von Alkoholexzessen. Seitdem gab es Reformen, die Fortbildung wurde ausgebaut, der Führungsstil verändert. "Heute muss man seine Befehle schon einmal begründen, das gab es früher nicht", sagt der Oberst.

Mäders Hauptsorge ist, dass die kleinste Armee der Welt auf der Höhe der Zeit bleibt. Daher sei die Ausbildung ständig zu verbessern: "Ich kann nicht sagen: Weil wir 500 Jahre alt sind, darf uns niemand abschaffen. Sonst könnten wir uns ja gleich ins Museum stellen."

© SZ vom 21.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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