Ukraine:Mörderin oder Märtyrerin

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Es hagelt internationale Kritik an dem russischem Urteil gegen die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko. Ein Gericht hat sie des Mordes für schuldig befunden.

Von Julian Hans, München

Nach dem Urteil gegen die ukrainische Kampfpilotin Nadja Sawtschenko wächst der Druck auf Russland und die Ukraine, sich über einen Austausch von Gefangenen zu einigen. Ein Gericht in Donezk sprach die 34-Jährige am Montag schuldig am Tod zweier Mitarbeiter des russischen Staatsfernsehens in der Ostukraine. Sie soll den ukrainischen Streitkräften im Juni 2014 den Aufenthaltsort von Igor Korneljuk und Anton Woloschin übermittelt haben, die danach durch Granatbeschuss getötet wurden.

Sawtschenkos Verteidiger hatten während des Prozesses anhand von Daten ihres Mobiltelefons und von Zeugenaussagen dargelegt, dass Sawtschenko zum fraglichen Zeitpunkt bereits von den Separatisten gefangen genommen worden war. Das Gericht befand Sawtschenko ebenfalls für schuldig, die russische Grenze illegal übertreten zu haben. Laut ihrer Darstellung übergaben die Separatisten in Luhansk sie bald russischen Sicherheitskräften, die sie nach Russland verschleppten.

Sawtschenko will ihren Hungerstreik fortsetzen

Sawtschenko hatte zuvor über ihre Anwälte erklärt, sie erkenne das Gericht nicht an. Daher will sie das Urteil nicht anfechten. "Sie ist der Meinung, dass der Verzicht auf eine Berufung den Verhandlungsprozess über ihre Auslieferung an die Ukraine beschleunigt", sagte ihr Anwalt Mark Fejgin. Um dem Nachdruck zu verleihen, will Sawtschenko ihren Anfang März begonnenen Hungerstreik fortsetzen, bis sie der Ukraine übergeben wird.

Nadja Sawtschenko, 34, ist seit März in ihrer russischen Haft im Hungerstreik. (Foto: AFP)

Russlands Außenministerium vertrat bisher die Position, über einen Austausch Sawtschenkos könne erst geredet werden, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Gespräche sind hinter den Kulissen aber schon länger im Gang. Für einen Austausch kämen neben Sawtschenko der auf der Krim geborene Regisseur Oleg Senzow infrage und der auch von der ukrainischen Halbinsel stammende Alexander Koltschenko. Ein Militärgericht verurteilte sie im August 2015 zu zwanzig, beziehungsweise zehn Jahren Lager, weil sie eine terroristische Vereinigung gegründet haben sollen, um Widerstand gegen die Annexion durch Russland zu leisten.

Wie könnte ein Austausch aussehen?

In Kiew läuft ein Prozess gegen die russischen Staatsbürger Jewgenij Jerofejew und Alexander Alexandrow, die im Mai 2015 im Gebiet Luhansk von ukrainischen Soldaten gefangen wurden und angeklagt sind, für den Militärgeheimdienst GRU Ziele ausgekundschaftet zu haben.

Strittig ist, auf welcher Basis ein Austausch stattfinden könnte: Sawtschenkos Unterstützer verweisen auf das in Minsk vereinbarte Prinzip "alle gegen alle". Allerdings handelt es sich dabei formal um eine Vereinbarung zwischen Kiew und den Separatisten. Moskau würde mit Sawtschenkos Austausch die penibel gehütete Position aufgeben, nur Vermittler zu sein und nicht Kriegspartei.

Zweite Möglichkeit wäre eine Übergabe an Kiew gemäß international üblicher Praxis, Gefangene zur Strafverbüßung in ihre Heimatländer zu überstellen. Das würde aber bedeuten, dass Kiew das Urteil anerkennt - schwer vorzustellen. Die Urteilsverlesung wird an diesem Dienstag fortgesetzt. Dann soll das Strafmaß verkündet werden; es wird erwartet, dass es kaum von den 23 Jahren Lagerhaft abweichen wird, die die Anklage forderte.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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