Rivalität:Chinas zweiter Aufstieg

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Illustration: Stefan Dimitrov/SZ (Foto: N/A)

Peking ist als Wirtschaftsmacht längst etabliert. Seit Jahren erhöht die KP aber auch die Militärausgaben und modernisiert die Volksbefreiungsarmee. Präsident Xi will ihr "Weltrang" verschaffen und fordert so die USA heraus.

Von Lea Deuber

Wer eine Idee davon bekommen möchte, wie China seine militärischen Ambitionen dem heimischen Publikum verkauft, dem empfiehlt sich der Kriegsfilm "Operation Red Sea". Der erfolgreichste chinesische Kinofilm des vergangenen Jahres wurde anlässlich des 90. Geburtstags der Volksbefreiungsarmee (PLA) gedreht, kostete 70 Millionen Dollar und ist ein Meisterwerk der Propaganda. Der Film spielt in einem fiktiven Staat auf der arabischen Halbinsel. Eine chinesische Spezialeinheit der Marine wird in das von Terroristen destabilisierte Land gerufen, rettet ein von Piraten gekapertes Schiff, verhindert einen Terroranschlag und bringt anschließend die Zivilisten in Sicherheit. An einer Stelle werden die chinesischen Marinesoldaten bei der Rettung für US-Kräfte gehalten. Die Botschaft ist klar: Was die Amerikaner können, kann China nun auch.

Chinas Aufrüstung ist längst keine Fiktion mehr. Generalstabsmäßig plant Peking nicht nur seinen wirtschaftlichen und politischen, sondern auch seinen militärischen Aufstieg. "Es ist der chinesische Traum, den Wiederaufstieg der großen chinesischen Nation zu schaffen", heißt es im Weißbuch des Staatsrats über die Modernisierung der Volksarmee. "Ohne ein starkes Militär kann ein Land weder sicher noch stark sein." Präsident Xi Jinping hat eine "Armee von Weltrang" als Ziel ausgegeben. Geht es nach Xi, soll bis 2035 die Modernisierung der Streitkräfte abgeschlossen sein - und das Land 100 Jahre nach der Gründung der Volksrepublik, also 2049, eine beherrschende Militärmacht.

China entwickelt Bomber und U-Boote, um zu den nuklearen Großmächten aufzuschließen

Laut Meia Nouwens vom Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) ist China bereits heute ein ernst zu nehmender Akteur in der globalen Sicherheitspolitik. Seit Jahren erhöht Peking entschlossen seine Militärausgaben. 2017 waren es laut IISS umgerechnet 122 Milliarden Euro - nach den USA mehr als jedes andere Land. Im Durchschnitt hat China seit 2000 seine Rüstungsausgaben jedes Jahr um zehn Prozent gesteigert. Zwei Millionen Soldaten stehen im aktiven Dienst. Das macht die Volksbefreiungsarmee, die der Kommunistischen Partei untersteht, zur größten Streitmacht der Welt.

Auch wenn das US-Militärbudget mehr als vier Mal so groß ist wie das chinesische, sieht Washington im östlichen Handelspartner längst einen strategischen Konkurrenten: Wenige Wochen nachdem die Präsidenten Xi Jinping und Donald Trump 2017 durch die Verbotene Stadt in Peking geschlendert waren, änderte Washington seine nationale Sicherheitsstrategie und erklärte die Beziehungen zu einem Wettbewerb zwischen "freien und repressiven Visionen der Weltordnung" - ein ideologischer Konflikt, eine neue Ost-West-Konfrontation. China versuche, die USA aus dem indopazifischen Raum zu verdrängen und global die Führung zu übernehmen.

Im Januar forderte der amtierende US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan denn auch, das Pentagon müsse den Fokus auf "China, China, China" legen. Kurz darauf veröffentlichte der US-Militärgeheimdienst DIA eine 125-seitige Analyse über Chinas Militär. DIA-Direktor Robert Ashley warnt darin, China arbeite darauf hin, "eine widerstandsfähige und tödliche Macht in der Luft, auf dem Wasser und an Land" zu werden, um seinen Willen in seinen Einflusssphären durchzusetzen. Zugleich sei Peking aber erpicht, nicht durch seinen Aufstieg die internationale Gemeinschaft in Alarm zu versetzen oder die USA und deren Partner in eine "antichinesische Koalition" zu treiben.

Der US-Geheimdienst zeigt sich über den schnellen Fortschritt der chinesischen Militärforschung besorgt. So entwickelt das Land auch nach eigener Aussage einen strategischen Langstreckenbomber, der Atomwaffen tragen kann, sowie ein weltraumgestütztes Frühwarnsystem. Mit seinen landgestützten Atomraketen und den mit Interkontinentalraketen ausgestatteten U-Booten würde Peking auf einen "Dreiklang aus nuklearen Trägersystemen" vertrauen können - das würde China auf die gleiche Stufe mit den nuklearen Großmächten USA und Russland bringen.

Zwar hat China sich seit seinem ersten Atomwaffentest 1964 eine Selbstverpflichtung in seiner Doktrin auferlegt, nicht als Erstes Atomwaffen einzusetzen, sondern sie nur im Sinne der nuklearen Abschreckung als Mittel für einen Vergeltungsschlag zu benutzen. Allerdings sieht DIA-Direktor Ashley "Unklarheiten" darüber, unter welchen Konditionen diese Zusage gelte.

Chinas Führung hat in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, Militärmacht einzusetzen - ob im Inland oder Ausland - um Bedrohungen des Regimes abzuwenden. Im Fall eines konventionellen Krieges könnte China sich daher als Erster zum Einsatz von Atomwaffen gezwungen sehen, "wenn das Überleben oder die Einheit der Nation bedroht" sei, schreibt Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in einer Analyse über Chinas Nuklearstrategie. Ein Beispiel dafür könnte der Konflikt mit Taiwan sein, das Peking als eine abtrünnige Provinz betrachte. US-Geheimdienstmitarbeiter lassen sich mit der Einschätzung zitieren, Peking dürfte in naher Zukunft seiner militärischen Macht so weit vertrauen, dass es eine Invasion Taiwans wagen könnte. Das sei die "besorgniserregendste Schlussfolgerung des DIA-Berichts".

Sie ist nicht aus der Luft gegriffen oder übermäßiger Angstmacherei geschuldet, wie sich Anfang des Jahres bei einer Rede von Präsident Xi in der Großen Halle des Volkes in Peking zeigte: Er bezeichnete die Unabhängigkeit Taiwans als "eine Sackgasse". China wolle eine friedliche Wiedervereinigung erreichen, lasse aber "keinen Raum für separatistische Aktivitäten". China gebe kein Versprechen, auf die "Anwendung von Gewalt" zu verzichten: "Wir behalten uns die Möglichkeit vor, alle erforderlichen Mittel zu ergreifen."

Ausgetragen wird die neue Großmachtrivalität im Südchinesischen Meer

Gerade erst veröffentlichte die Volksbefreiungsarmee ein Propagandavideo, indem zunächst an einem Meer planschende Kinder zu sehen sind, bevor die Spitze des Wolkenkratzers Taipeh 101 auftaucht, des Finanzzentrums und Wahrzeichens von Taiwans Hauptstadt. Untermalt wird das Video von einem Lied mit dem Text "die Kriegsadler fliegen um die Schatzinsel. Nostalgische Erinnerungen des Vaterlandes rufen euch sanft, zurückzukehren." Dazu donnern Kampfjets durch die Luft. Taiwan antwortete mit einem Video und dem Slogan: "Wir sind bereit."

Der Streit um Taiwan ist längst nicht der einzige Krisenherd in Chinas geopolitischem Umfeld. Im Südchinesischen Meer hat das US-Militär 18 "gefährliche Zwischenfälle" seit 2016 mit den chinesischen Streitkräften gezählt. Nahe den von China beanspruchten Spratly-Inseln wären im September fast ein chinesisches und ein amerikanisches Kriegsschiff kollidiert. Peking erhebt Anspruch auf 80 Prozent des pazifischen Randmeers, das ungefähr doppelt so groß ist wie das Mittelmeer - und sichert dies militärisch ab. Es hat dort künstliche Inseln aufgeschüttet und Militäranlagen darauf errichtet. Die Entscheidung des UN-Schiedsgerichts in Den Haag vor drei Jahren, dass es für die Gebietsansprüche keine Grundlage gebe, ignoriert Peking. Die USA erkennen die Ansprüche Chinas nicht an und schicken regelmäßig Kriegsschiffe in die Nähe der umstrittenen Inseln, um dort demonstrativ für die Freiheit der Seefahrt einzutreten.

Um seine maritime Vorherrschaft in der Region durchsetzen zu können, hat Peking in den vergangenen Jahren mehr als 100 neue Kriegsschiffe gebaut, die meisten hochseetauglich. Von "Innovationssprüngen" spricht IISS-Analystin Meia Nouwens. 2017 lief der zweite Flugzeugträger vom Stapel. Dazu kommen vier nuklear betriebene und mit Atomraketen bestückbare U-Boote, deren Heimathafen auf der Tropeninsel Hainan liegt. In der neuen Großmachtrivalität zwischen den USA und China spielen sie eine herausragende Rolle.

Die beiden Staaten agieren zwar in einem anderen strategischen Umfeld als zu Zeiten des Kalten Krieges, sind wirtschaftlich eng verflochten. Und noch tragen sie ihre Konkurrenz vornehmlich in einem wirtschaftlichen und technologischen Wettlauf aus. Doch die militärische Komponente gewinnt an Stellenwert. Schon Mao hatte die Nuklearwaffe als eine "das Schicksal Chinas bestimmende Angelegenheit" bezeichnet. SWP-Analyst Michael Paul sagt, China strebe zwar nicht nach der Fähigkeit zur nuklearen Kriegsführung, setze aber darauf, Gegner durch nukleare Abschreckung "auf geringem Niveau mit einer gesicherten Zweitschlagfähigkeit" in Schach zu halten. Das Südchinesische Meer dient dabei als Rückzugsgebiet für die neue Flotte.

Chinas Modernisierung seiner strategischen Streitkräfte hat damit unmittelbare Folgen für die USA. Amerikas Flugzeugträger-Verbände werden für Pekings Marine verwundbar. Raketen, die von U-Booten aus dem Südchinesischen Meer gestartet werden, können sogar die USA erreichen. Chinas rapide wachsende Präsenz in diesen Gewässern stellt damit die bislang einzigartige Fähigkeit der USA infrage, unvergleichliche militärische Macht in ferne Regionen zu projizieren. In Frage gestellt ist damit auch die globale Vorherrschaft.

© SZ vom 14.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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