ifo-Bildungsbarometer:Wenn Kinder aus der Schule plaudern

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Jugendliche beurteilen den Unterricht und die Lehrer viel positiver als ihre Eltern. Eine Studie zeigt außerdem, dass sich die meisten wünschen, sexuelle Belästigung schon in der Grundschule zu thematisieren.

Von Susanne Klein, München

Jugendliche benoten Schulen deutlich besser als Erwachsene - das ist eines der überraschenden Ergebnisse aus dem neuen Bildungsbarometer des Ifo-Instituts. Neben 4000 Erwachsenen waren für die größte deutsche Bildungsumfrage in diesem Jahr erstmals auch 1000 Schüler befragt worden. Die 14- bis 17-Jährigen sind mit ihren Schulen offensichtlich zufriedener, als es sich angesichts der allgegenwärtigen Debatte um fehlende Lehrer, Gebäude und Computer erwarten ließ: Jeder zweite gibt seiner aktuellen Schule die Note 1 oder 2, jeder dritte hat immer noch ein "befriedigend" für sie übrig. Erwachsene bewerten den am Donnerstag veröffentlichten Daten zufolge strenger: Nur jeder dritte hält die Schulen in seinem Einzugsbereich für "sehr gut" oder "gut". Mehr als jeder vierte ist der Ansicht, sie hätten sogar eine 5 oder 6 verdient - so hart urteilt bei den Jugendlichen nur jeder siebte.

"Das hätten wir so nicht erwartet", sagt Ludger Wößmann. Der Studienleiter glaubt, die Wertschätzung der Teenager gründe darauf, dass "sie sehen, dass sich in der Schule viele Menschen richtig um sie bemühen". Unter dieser Prämisse würden Schüler das schulische Umfeld auch dann positiv bewerten, wenn es nicht perfekt sei. Erwachsene hätten dagegen mehr Abstand zur Schule und ließen wahrscheinlich auch stärker kritische Studien und Medienberichte in ihr Urteil einfließen.

Einen noch größeren Meinungsunterschied fördert die Umfrage beim Thema Ganztagsschule zutage. Die Frage, ob in Deutschland alle Kinder bis 15 Uhr in die Schule gehen sollten, beantworten 64 Prozent der Jugendlichen mit Nein - und fast genauso viele Erwachsene mit Ja. Hier prallen offensichtlich gegensätzliche Interessen aufeinander: Die einen wollen ihre Freizeit bewahren, die anderen leichter Familie und Beruf vereinbaren. Dass Jugendliche den politisch gewollten Ausbau der Ganztagsschule so deutlich ablehnen, hält Wößmann für ein Alarmsignal. Es sei "extrem wichtig", sie in die Entscheidungsprozesse der Bildungspolitik einzubeziehen, auch bei der Frage, wie ein Ganztagssystem sinnvollerweise aussehen soll. Diese Schulform dürfe nicht nur das Leben der Eltern einfacher machen, "sie muss so sein, dass die Schüler auch wirklich etwas davon haben", sagt der Bildungsökonom.

Noch mehr als die Meinungsunterschiede erstaunen die Meinungsähnlichkeiten: Ausgerechnet bei Noten und Prüfungen sind Jung und Alt beieinander. 62 Prozent der Schüler sind gegen die Abschaffung von Noten, 76 Prozent für das Sitzenbleiben (Erwachsene: 74 und 83 Prozent). Hoch im Kurs stehen auch bundesweit einheitliche Vergleichstests, in der Grundschule und danach. Ebenso das Zentralabitur: 83 Prozent sind dafür (Erwachsene: 90). Das leistungsorientierte Schulsystem ist offenbar noch viel stärker gewollt, als die Bildungspolitik es wahrhaben will. Mit zentralen Prüfungen wie einem deutschlandweit vergleichbaren Abi tun sich die verantwortlichen Länder mehr als schwer, die Reform geht nur in Trippelschritten voran. "Aber die Schüler wissen natürlich, dass ihre Zeugnisse nicht wirklich vergleichbar sind, und das widerspricht ihrem Gerechtigkeitssinn", sagt Wößmann.

Ein Teil des diesjährigen Bildungsbarometers steht im Zeichen der #MeToo-Debatte, die seit vergangenem Oktober die Öffentlichkeit bewegt. 74 Prozent der Frauen und 66 Prozent der Männer in Deutschland begrüßen es, dass über sexuelle Belästigung diskutiert wird. Die befragten Jugendlichen sind sogar noch aufgeschlossener: Neun von zehn Mädchen und acht von zehn Jungen wollen an ihrer Schule Themen wie die Gleichstellung der Geschlechter, Gewalt und Machtmissbrauch gegenüber Frauen oder sexuelle Belästigung im Unterricht behandelt wissen. Ein Krieg der Geschlechter in den weiterführenden Schulen ist deswegen aber nicht zu befürchten. Obwohl Pädagogen regelmäßig über den getrennten Unterricht diskutieren, etwa um Jungen in sprachlichen und Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern besser zu fördern, halten die 14- bis 17-Jährigen davon wenig bis gar nichts: Mehr als 70 Prozent sind dagegen. Einzige Ausnahme ist der getrennte Sportunterricht, den eine knappe Mehrheit der Mädchen und fast die Hälfte der Jungen befürwortet.

Gewundert hat die Studienmacher aber etwas anderes. Sechs von zehn Jugendlichen, egal ob Mädchen oder Jungen, meinen, dass die Mütter zuhause bleiben sollten, wenn dort ein Kind im Vorschulalter ist. Das hätte er vielleicht von älteren Befragten so erwartet, sagt Wößmann, aber nicht von den jungen.

Susanne klein

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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