Blogschau:Hillarys Emo-Faktor

Lesezeit: 3 min

Entgegen aller Umfragewerte siegt Hillary Clinton in New Hampshire: Kommentatoren fragen, ob Amerika wirklich farbenblind ist - und machen einen entscheidenden Moment für das Comeback der ehemaligen First Lady aus.

Johannes Kuhn

Was waren das für aufsehenerregende Tage gewesen, nach dem Caucus in Iowa: Barack Obama segelte auf einer Welle der Begeisterung, Hillary Clinton stand nach nur einer Vorwahl mit dem Rücken zur Wand.

Politico-Blogger Ben Smith fasst das Erstaunen vieler Kommentatoren in Worte : "Ist Politik nicht toll? Gerade, wenn man glaubt, den Durchblick zu haben ..." Zwar hatten nur wenige Kommentatoren Hillary Clinton abgeschrieben, doch die letzten Umfragen waren von einem klaren Sieg ihres Rivalen Barack Obama ausgegangen.

Für seine Niederlage in New Hampshire machen einige Blogger nun den so genannten Bradley-Effekt verantwortlich. Diesen hatte das Pew Research Center, ein überparteilicher Think-Tank, bereits vor einem Jahr beschrieben: Vor der kalifornischen Gouverneurswahl 1982 hatte der Demokrat Tom Bradley, der schwarze Bürgermeister von Los Angeles, bei Umfragen mit neun bis 22 Prozentpunkte vor seinem republikanischen Gegner George Deukmejian gelegen. Am Wahltag jedoch wurden sämtliche Meinungsforscher eines Besseren belehrt: Bradley verlor knapp.

Das Phänomen, wonach Wähler in Umfragen farbige Kandidaten als ihren Favoriten nennen, auf ihrem Stimmzettel jedoch "weiß" wählen, ist seitdem immer wieder zu beobachten.

Der christlich-konservative Blogger David Kuo hält deshalb fest: "Obwohl immer wieder betont wird, dass Rassenzugehörigkeit bei dieser Wahl kaum eine Rolle spielt, haben wir heute gesehen, dass sie immer noch von entscheidender Bedeutung sein kann."

Andere Beobachter machen den Umschwung an Clintons Rede vom Montag fest. Vor Anhängern hatte die New Yorker Senatorin mit den Tränen ringend die Beweggründe für ihre Kandidatur erläutert: "Manche Leute meinen, ein Wahlkampf ist nur ein Spiel", hatte sie mit gebrochener Stimme erklärt, "Es ist nicht leicht, es ist nicht leicht, ich könnte es nicht schaffen, wenn ich nicht leidenschaftlich überzeugt wäre, das Richtige zu tun."

Ihr Auftritt fand sich schnell in einer Medien-Endlosschleife wieder, während konservative Blogs der ehemaligen First Lady vorwarfen, ihren Auftritt geschickt, ja Oscar-würdig, inszeniert zu haben. "Es hat die Medienberichterstattung am letzten Tag vor der Wahl monopolisiert und die weiblichen Wählern in Scharen an die Urnen gebracht", kommentierte eine Bloggerin des konservativen American Spectator das Ergebnis am Wahlabend.

Ein Beobachter von The Politico sieht keine schauspielerische Leistung, sondern einen generellen Richtungswandel in Clintons Wahlkampf. "Die Strategie scheint sich weg von einem kalkuliertem Auftreten zu bewegen", ist dort zu lesen, "die Ausbrüche von Trauer und Wut haben ihrer Kandidatur die rohe Authentizität gegeben, die ihre Berater seit Jahren künstlich herzustellen versucht haben."

Robin Koerner von The Moderate Voice glaubt wie die meisten Blogger, dass Hillary Clinton nur über einen emotionaleren Wahlkampf ins Weiße Haus einziehen kann: "Wenn es wirklich einen neuen amerikanischen Zeitgeist gibt, braucht sie eine authentische neue Stimme, um mit Obama mithalten zu können."

Ironischerweise trug auch der republikanische Gewinner John McCain ersten Analysen zufolge zu Clintons Sieg bei. Sowohl Obama als auch McCain erfreuten sich bei den unabhängigen Wählern in New Hampshire großer Beliebtheit. "Weil die Umfragen Obama so weit vorne sahen und er wie der sichere Sieger aussah, entschieden sich viele Unabhängige am Wahltag, den Sieg McCains über Romney klarzumachen", lautet die Theorie auf dem liberalen Blog MyDD. Weil man nur an den Vorwahlen einer Partei teilnehmen kann, gingen viele Unabhängige lieber zu den Republikanern. So wurde aus Obamas vermeintlich hohem Sieg ein Sieg von McCain."

"Neben einigen anderen Dingen hat McCain bewiesen, dass man keine tolle Frisur haben muss, um zu gewinnen", schreibt Joe Gandelman von The Moderate Voice. Diese kaum verhohlene Anspielung auf McCains Konkurrenten Mitt Romney zeigt, dass der ehemalige Gouverneur von Massachusetts wie bereits in Iowa zu den großen Verlierern des Abends zählt.

Weil das Rennen so eng ist, rechnen die Blogger des liberalen Magazins The New Republic vor der nächsten großen Wahletappe im konservativen South Carolina in zehn Tagen mit einer Schlammschlacht. Dabei könnte McCain mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert werden, vermuten die Autoren der Online-Zeitschrift Salon: Vor acht Jahren nahm das Wahlkampfteam von George W. Bush dem Sieger von New Hampshire mit einer groß angelegten Schmierenkampagne in South Carolina den Wind aus den Segeln.

Das republikanische Rennen, so sind sich die Kommentatoren einig, bleibt deshalb weiterhin völlig offen: "Eigentlich passiert so etwas nicht", wundern sich die Blogger der USA Today , "Republikaner haben schon lange keine dramatischen Kämpfe um die Nominierung mehr erlebt. Sie unterstützen etablierte Parteigranden wie Bob Dole, den damaligen Vizepräsidenten George Bush - oder aber die Favoriten des Establishments wie George W. Bush."

"Beide Parteien haben weiterhin keine Ahnung, wen sie für die Präsidentschaftswahl nominieren werden", fassen die Blogger der Washington Post die Lage zusammen. Für das einflussreiche liberale Blog Daily Kos ist die Unsicherheit ein Gewinn für das Land: "Großartig! Keine Krönung in diesem Jahr. Die Kandidaten müssen sich ihren Sieg auf eine ganz altmodische Weise verdienen: Mit einer Stimme nach der anderen."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: