Zivilprozess:Kampusch verteidigt Mutter vor Gericht

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Fast zwei Jahre nach Ende ihres Martyriums in einem Kellerverlies hat Natascha Kampusch erstmals vor einem Gericht zu den Hintergründen ihrer Entführung ausgesagt.

Die juristische Aufarbeitung im Entführungsfall Natascha Kampusch geht in die nächste Runde: Ein Zivilgericht in Graz untersucht seit Donnerstag eine mögliche Komplizenschaft von Kampuschs Mutter Brigitta Sirny.

Natascha Kampusch beim Gerichtstermin in Graz. (Foto: Foto: dpa)

Der pensionierte Richter Martin Wabl, der früher mit dem Fall betraut war, erklärte, dass Sirny an der Entführung und dem sexuellen Missbrauch beteiligt gewesen sei. Kampuschs Vater, Ludwig Koch, wollte seine Ex-Lebensgefährtin zumindest nicht entlasten.

Kampuschs Mutter hatte gegen Wabls Anschuldigung geklagt und will ihm per Gericht verbieten lassen, diese weiterhin zu äußern. Kampusch selbst erschien zum Prozess, sagte aber erst nach Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Zunächst legte Wabl dar, wieso er nach wie vor an eine Mitschuld Sirnys glaubt.

Er sagte, dass er schon beim Verschwinden des Mädchens vermutet habe, es handle sich "um keinen normalen Entführungsfall", sondern "die Lösung liegt in der Familie".

Wenige Tage nach dem Verschwinden des Mädchens habe er sich mit Sirny getroffen, um seine Hilfe anzubieten. Eine Schwester von Natascha habe ihm erzählt, das Mädchen habe kurz zuvor stark zugenommen und begonnen, ins Bett zu machen.

"Das deutete für mich auf einen sexuellen Missbrauch hin", sagte Wabl nach Angaben der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Die Polizei habe diese Richtung zwar zunächst verfolgt, aber nach einem Gutachten, das keine Anzeichen dafür fand, sei die Spur fallengelassen worden.

Er sei irritiert gewesen, als Sirny schon bald erklärt habe, sie habe die Hoffnung aufgegeben. "Eine Mutter gibt die Hoffnung überhaupt nicht auf", sagte der pensionierte Richter.

Vater entlastet seine ehemalige Lebensgefährtin nicht

Ludwig Koch, Nataschas Vater, erklärte laut APA, er könne nicht sagen, ob er den Entführer Wolfgang Priklopil gekannt habe - und er bezweifelte auch, dass Sirny dies mit Bestimmtheit ausschließen könne. Er schilderte, dass Sirny am Tag von Nataschas Verschwinden bereits eine Anzeige erstattet hatte, bevor sie ihn anrief. "Das hat mich im Nachhinein verwundert", so Koch.

Über seine ehemalige Lebensgefährtin sagte Nataschas Vater: "Ich möchte nicht auf sie losgehen, ich möchte Klarheit". "Haben Sie den konkreten Verdacht, dass sie etwas mit der Sache zu tun hat?", fragte Richter Jürgen Schweiger. "Kann ich nicht sagen. Weder zu hundert Prozent ja noch zu hundert Prozent nein", antwortete Koch daraufhin.

Sirny hat dies allerdings ebenso energisch bestritten wie Natascha Kampusch selbst.

Eine Nachbarin, die sich nach eigenen Aussagen oft um Natascha kümmerte, behauptete, Priklopil vor der Entführung einmal im Geschäft von Brigitta Sirny gesehen zu haben. Sie gab vor Gericht außerdem an, dass Natascha in der Nacht vor der Entführung bei ihr in der Wohnung auf ihre Mutter gewartet habe.

Sirny sei daraufhin sehr böse gewesen, weil das Kind nicht allein in der Wohnung gewartet habe. Am nächsten Tag verschwand die Zehnjährige. Die Nachbarin fuhr daraufhin zum Vater Nataschas, um bei der Suche zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt habe Sirny bereits Vermisstenanzeige erstattet.

Natascha Kampusch war damals auf dem Schulweg im Norden Wiens von dem Elektrotechniker Priklopil entführt und danach acht Jahre von ihm festgehalten worden.

Hinweise von Nachbarn, wonach Kampuschs Mutter eine Verbindung zu Priklopil hatte, wurden in den folgenden Jahren ebenso wenig bewiesen wie die Anschuldigung des sexuellen Missbrauchs. Nach einem Gutachten des Kinderpsychologen Max Friedrich, der keine Anzeichen sexuellen Missbrauchs vor der Entführung hatte finden können, hatte die Polizei den Verdacht fallen lassen.

Friedrich bekräftigte am Donnerstag sein Gutachten. Der damalige Leiter der Mordkommission Wien, Ernst Geiger, erklärte, man habe die Ermittlungen gegen die Familie des Mädchens sehr bald eingestellt. Der Prozess wurde am Abend auf unbestimmte Zeit vertagt, weil mehrere Zeugen nicht zur Verhandlung erschienen waren.

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