Wissenschaft:Gentechnik mit Flügeln

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Seidenraupen, die Gewebe für kugelsichere Westen produzieren, Moskitos als fliegende Impf-Spritzen - das sind nur einige Beispiele, wie Forscher sich genmanipulierte Insekten zu Nutze machen wollen. Eine US-Initiative fordert nun strenge Regeln für solche Insekten.

Von Wiebke Rögener

Gentechnisch veränderte Mücken, Motten und Wanzen könnten schon bald aus den Labors flattern und krabbeln. Doch die ökologischen Folgen künftiger Freisetzungsversuche sind wenig erforscht, und in den USA gibt es nur unzureichende gesetzliche Regelungen für solche Experimente. Das stellt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Pew Initiative fest, einer unabhängigen Stiftung, welche die Öffentlichkeit über Vorteile und Risiken der Gentechnologie informiert.

Eine Malaria-Mücke in Aktion. (Foto: Foto: dpa)

Rosafarbene Baumwollkapselbohrer könnten dem Bericht zufolge unter den ersten "Designer-Insekten" sein, die gezielt in die freie Wildbahn entlassen werden. Die genmanipulierten Falter enthalten ein Quallen-Gen, das sie im Dunkeln leuchten lässt.

Ziel ist es jedoch, Erbgut-Stücke einzubauen, welche die Larven des gefürchteten Baumwollschädlings töten. Dieses Gen sollen die veränderten Tiere in die frei lebende Falterpopulation einschleusen.

Weit fortgeschritten sind auch Forschungsarbeiten an Raubwanzen, die die Chagas-Krankheit übertragen. Nicht die bissigen Krabbeltiere selbst wurden hier verändert, sondern Mikroorganismen in deren Darm, die für die Wanzen lebenswichtig sind. Ziel ist auch hier der Tod der Wanzen. Mit ähnlichen Methoden wollen Wissenschaftler zudem gegen Tse-Tse-Fliegen, die Überträger der Schlafkrankheit, kämpfen.

Aufgepeppt für langes Leben

In den Gentech-Labors warten noch weit mehr Insekten auf ihren Auftritt: Honigbienen, die unempfindlich gegen Insektizide sind oder Mücken, in denen sich keine Malaria-Erreger mehr entwickeln können. Auch an Seidenraupen wird geforscht, die Arzneimittel oder spezielle Fasern für kugelsichere Westen herstellen.

Weiterhin soll Gentechnik die biologische Schädlingsbekämpfung effektiver machen. Dafür werden Insekten, die Schädlinge vertilgen, mit Genen für ein langes Leben oder einen Kälteschutz aufgepeppt. Noch etwas länger dürften Moskitos auf sich warten lassen, die als "fliegende Spritzen" Impfstoffe verabreichen.

Den möglichen Nutzen genetisch veränderter Insekten für Wirtschaft und Gesundheit schätzen die Autoren des Reports hoch ein. Sie verweisen auf die Millionen von Malaria-Toten und die hohen landwirtschaftlichen Verluste durch Schadinsekten. Dem gegenüber stünde allerdings eine Reihe von Gefahren und Unwägbarkeiten.

Ökologische Gefahr

Denn wer zum Beispiel Malaria-resistente Mücken erzeugt, setzt darauf, dass die Insekten aus dem Gentech-Labor ihre wilden Verwandten so weit wie möglich verdrängen. Anders als etwa genmanipulierte Haustiere, die kaum in der Lage wären, sich ohne Stall und Futterkrippe durchs Leben zu schlagen, müssen gentechnisch veränderte Insekten in Freiheit überlebenstüchtig sein, sonst könnten sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.

Von solchen Organismen seien daher besonders leicht Veränderungen der Ökosysteme zu erwarten, warnte bereits 2002 ein Bericht des National Research Council (NRC) der USA. Neben den Insekten schätzt das Gremium auch genmanipulierte Wassertiere, etwa schnellwüchsige Fische, als besondere ökologische Gefahr ein. Denn auch sie können leicht entweichen, auf eigene Faust Lebensräume erobern und Konkurrenten ausschalten.

Designer-Insekten haben oft einen veränderten Lebenszyklus, daher verhalten sie sich im Ökosystem anders als die Ursprungsformen. Auch überleben manche in rauerem Klima als die unmanipulierten Vorfahren. So bauten Forscher schon vor Jahren Gene aus Kaltwasserfischen in Taufliegen ein, die daraufhin weniger kälteempfindlich wurden.

Kreuzung nicht ausgeschlossen

In der Natur würden sich durch solche Eingriffe die Verbreitungsgebiete der Insekten ändern. Betroffen von solchen Umbauten im Ökosystem wären beispielsweise Tiere, die sich von der betreffenden Insektenart ernähren. Wie sich Gentech-Insekten genau auswirken würden, sei kaum vorherzusagen, so die Verfasser des Pew-Reports.

Sie wollen nicht ausschließen, dass sich die Gentech-Kerbtiere mit den Wildformen, von denen sie abstammen, kreuzen. Auf diese Weise könnten etwa Honigbienen, die widerstandsfähig gegen Pestizide gemacht wurden, diesen Vorteil an wilde Bienenarten weitergeben - und so das bestehende Gleichgewicht zwischen verschiedenen Bestäubern durcheinander bringen, warnt die Pew-Initiative.

Auch der Austausch von Genen zwischen nicht näher verwandten Insekten ("horizontaler Gentransfer") sei möglich. Beispielsweise könnten Viren, die mehrere Insektenarten befallen, Erbgut-Stückchen von einer Art zur anderen transportieren.

Vorteil nicht garantiert

Es sei noch viel zu früh, um Freilandexperimente mit Mücken zu wagen, die Malaria-resistent sind, erklärten auch Wissenschaftler des European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg, als vor zwei Jahren das Genom der Malaria-Mücken entziffert wurde. Denn man wisse längst nicht genug über den Austausch von Genen zwischen verschiedenen Mückenunterarten (2).

Selbst wenn es gelänge, Moskitos erfolgreich gegen die Malaria einzusetzen, wäre ein gesundheitlicher Vorteil noch nicht unbedingt gewährleistet, stellt der Pew-Report fest: Um die eingesessenen Malaria-Mücken zu verdrängen, müssten Gentech-Moskitos in großer Zahl in die Freiheit entlassen werden und sich erfolgreich vermehren.

Dann aber gäbe es in den betroffenen Gebieten womöglich mehr Stechmücken als zuvor. Zwar würden diese keine Malariaerreger verbreiten, doch stiege die Gefahr, dass andere Krankheiten zunehmen, die ebenfalls durch Blut saugende Insekten übertragen werden.

Unzureichende Gesetze

Offenbar gibt es eine Reihe guter Gründe, warum die Öffentlichkeit solchen Experimenten skeptisch gegenübersteht. Umfragen in den USA ergaben, dass die Freisetzung von genmanipulierten Insekten dort weit kritischer gesehen wird als der Anbau von Gentech-Pflanzen.

Die Autoren des Pew-Reports bemängeln nicht nur unzureichende gesetzliche Vorschriften im eigenen Land; sie fordern auch international verbindliche Regeln. In Europa wurden bisher keine Anträge auf Freisetzungsversuche mit Gentech-Insekten gestellt, so Detlef Bartsch vom Robert-Koch-Institut in Berlin.

Weniger übersichtlich ist die Arbeit in den Forschungslabors. Hier ist in Deutschland die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) zuständig - allerdings nur für Versuche oberhalb der niedrigsten Sicherheitsstufe (S1).

"Eine gentechnisch veränderte Fliege könnte gut unter S1 fallen", erläutert Inge Kruczek von der Geschäftsstelle der ZKBS in Berlin. "Dann müssten nur die einzelnen Landesbehörden den Versuch genehmigen. Einen zentralen Überblick über solche Experimente hat niemand."

© SZ vom 4.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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