Wilhelm Gustloff:Wenn Hyänen auf Tauchfahrt gehen

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Seit dem Erscheinen des Romans von Günter Grass wollen immer mehr Nostalgiker das Wrack des NS-Schiffs "Wilhelm Gustloff" sehen.

Von Thomas Urban

Gdingen - Über dem Tresen hängt ein großes Bild der Wilhelm Gustloff, des einstigen Kreuzfahrtschiffes der NS-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude".

Das NS-Schiff "Wilhelm Gustloff" - eine Tragödie ohne Gleichen (Foto: Foto: dpa)

Der Wirt am Bierausschank bekommt sofort einen gespannten Gesichtsausdruck, als er nach dem Schiff gefragt wird. "Wollen Sie wissen, wo genau es in unserem Hafen abgefahren ist?", fragt er. Dann fügt er im Flüsterton hinzu: "Oder wollen Sie hinfahren?" Und weiter nach einem Moment, in dem der Fragesteller scharf gemustert wird: "Oder sind Sie Sammler?"

Seitdem kürzlich die Zeitung Rzeczpospolita ihren Aufmacher den "Hyänen von der Wilhelm Gustloff" gewidmet hat, ist der Betreiber der kleinen Kneipe am Hafen von Gdingen vorsichtig geworden.

Denn die Aufregung ist groß um das Schiff, das nicht weit von hier seit fast 59 Jahren in 47 Meter Tiefe liegt. Am 30. Januar 1945 wurde es von einem sowjetischen U-Boot mit einem Torpedo versenkt. Im eisigen Wasser der Ostsee ertranken zwischen 6000 und 9000 Menschen.

Es waren meist Flüchtlinge, die sich vor der herannahenden Roten Armee retten wollten.

Illegale Tauchfahrten zum Seefriedhof

Seit langem weiß man an der polnischen Ostseeküste, dass Tauchklubs zwischen Kolberg und Danzig Fahrten zu dem Wrack organisieren. Doch derartige Ausflüge sind illegal, die Stelle, deren Koordinaten offiziell nie bekannt gegeben wurden, haben die Behörden zum Seefriedhof erklärt.

Die Totenruhe darf also nicht gestört werden. Das Seeamt in Gdingen erteilt grundsätzlich keine Genehmigung für Tauchfahrten, wie der Abteilungsleiter Henryk Koszka sagt.

Aber er weiß, dass immer wieder gegen das Verbot verstoßen wird. Vor allem, seitdem der Bestsellerroman "Im Krebsgang" von Günter Grass, in dessen Mittelpunkt der Untergang des Schiffes steht, auf Polnisch erschienen ist, haben die Behörden ein sprunghaftes Anwachsen der Meldungen über "außerordentliche Vorkommnisse" im verbotenen Planquadrat registriert.

Die Reporter von Rzeczpospolita hatten kein Problem, einen Tauchklub zu finden, der Fahrten dorthin organisiert - "bei günstigem Wetter jeden zweiten Tag", wie der Clubpräsident erzählte.

Er rühmte sich auch des Besitzes einer der großen Deckenleuchten aus dem Ballsaal, in dem verdiente Mitglieder der NSDAP bei Kreuzfahrten in wärmere Gefilde getanzt hatten. Die Leuchte hat er zu einem Tischchen für seine Cognac- und Wodkaflaschen umgearbeitet.

In Gdingen, von wo der Dampfer 1945 zu seiner letzten Fahrt in See gestochen war, ist zu erfahren, dass vor allem deutsche Sammler Unsummen für Andenken von dem Schiff bezahlen.

Fünfstellige Summen für Aschenbecher

Aschenbecher mit dem Schriftzug erbrächten fünfstellige Summen - in Euro, nicht in Zloty. Die Nazis hatten die im polnischen Korridor gelegene Stadt zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nicht nur an das Deutsche Reich angeschlossen, sondern auch in Gotenhafen umbenannt.

In den letzten Kriegsmonaten wurden über sie die Schätze, die die Nazibonzen zusammengerafft hatten, ausgeschifft. Seit Jahrzehnten hält sich das Gerücht, auch die Wilhelm Gustloff habe Schatzkisten an Bord gehabt.

Ein Taucher verkündet im Internet, er suche mit Kameraden nach nichts Geringerem als dem legendären Bernsteinzimmer. Dieses war bis 1945 in Königsberg eingelagert.

"Es geht um den Ruhm"

Zu den vielen Theorien, die sich seit Jahrzehnten darum ranken, gehört auch die von der Wilhelm Gustloff. "Es geht uns nicht um Materielles, sondern um den Ruhm, eines der größten Rätsel des 20. Jahrhunderts zu lösen", verkündet der Taucher.

Der Seebeamte Henryk Koszka will von solch hehren Motiven nichts wissen. "Das sind Friedhofshyänen", sagt er. Bei den polnischen Behörden hält man die Theorie vom Bernsteinzimmer für abwegig.

Man weiß, dass das Wrack schon in den ersten Nachkriegsjahren wiederholt von sowjetischen Marinetauchern abgesucht wurde. Sie gingen dabei nicht zimperlich vor: Riesige Löcher wurden in den Schiffsrumpf gesprengt.

1973 gaben die Behörden dem Drängen des Danziger Tauchclubs nach und erlaubten eine Besichtigungstour, die Medien berichteten ausführlich von diesem Einsatz "auf den Spuren des Bernsteinzimmers".

Gefunden wurde nichts, jedenfalls war dies die offizielle Version. Seitdem waren alle Fahrten untersagt. Allerdings findet sich in den dicken Aktenordnern im Gdinger Seeamt ein Bericht eines polnischen Seglers, der 1992 ein "deutsches Kriegsschiff" über der Stelle gesichtet haben will. Die Bundesmarine dementierte.

Ein Leserbriefschreiber der Danziger Gazeta Baltycka forderte die Behörden auf, den Teilnehmern der illegalen Tauchfahrten eine Amnestie anzubieten, wenn sie ihre Fundstücke ablieferten.

Es sei an der Zeit, ein Wilhelm-Gustloff-Museum einzurichten, zumindest ein kleines: Die Angehörigen der Opfer hätten dann einen Platz zum Gedenken und die Stadt ein neues Touristenziel. Im Rathaus aber will man abwarten.

Nur die Staatsanwaltschaft ist tätig geworden. Sie wird wohl Verfahren eröffnen wegen "Störung der Totenruhe" und "Diebstahl".

© SZ vom 8.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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