Oktobertage mit 25 Grad, Schmetterlinge auf den Blumen, Picknick-Atmosphäre im Stadtpark: Dieser Herbst fühlt sich an wie ein Frühling. ,,Es ist schon extrem in diesem Jahr'', sagt Christine Margraf, die im Bund Naturschutz Bayern für die Alpen zuständig ist.
Die Botanikerin staunte nicht schlecht, als sie bei einem Ausflug an den oberbayerischen Staffelsee plötzlich Trollblumen und Silberklee blühen sah - ,,eigentlich sind das reine Frühlingsblüter.'' Rainer Krüger von der Abteilung für Agrarmeteorologie des Deutschen Wetterdienstes (DWD) nutzt die Wärme für sich ganz praktisch: Er erntet im Garten jetzt noch Erdbeeren.
Der Südwind sorgt für Sommerwetter
Wie kann so etwas passieren? Es liegt am Südwind. Wenn der warme Wind die Kaltluft am Boden ,,ordentlich aufmischt'', wie es Ansgar Engel vom DWD in Offenbach ausdrückt, kann es an diesem Donnerstag rekordverdächtig warm werden.
Zumindest im Alpenvorland, im Sauerland und am Nordrand des Erzgebirges. Denn am Rand von Gebirgen drückt der Wind besonders kräftig die warme Luft nach unten. 27,1 Grad Celsius gilt es zu übertreffen - die höchste bislang gemessene Temperatur Ende Oktober, erreicht am 23.Oktober 1989 in Stuttgart.
Schon die vergangenen Tage waren für Ende Oktober ungewöhnlich warm, sogar der Start der Skisaison wurde wegen zu hoher Temperaturen abgeblasen. Am Dienstagabend hat der Internationale Skiverband FIS das für kommendes Wochenende im österreichischen Sölden geplante Weltcuprennen abgesagt.
Statt Neuschnee war bis hinauf zum Gipfel Regen gefallen, am Dienstagmorgen wurden in 3294 Metern Höhe neun Grad Plus gemessen. Der Saisonstart findet nun im November in Finnland statt, nördlich des Polarkreises. Schneemangel muss dort niemand befürchten.
Wespen sterben später
Einer neue Stechmückenplage droht trotz sommerlicher Temperaturen wohl eher nicht. ,,Die schaffen keinen kompletten Entwicklungszyklus mehr'', sagt Horst Korn, Ökologe am Bundesamt für Naturschutz. Nur wenn es noch drei bis vier Wochen frostfrei bliebe, könnten neue Wespen und Stechfliegen schlüpfen. Allerdings werden Wespen wegen der Wärme wohl später sterben als gewöhnlich, auch andere Insekten kann man derzeit vereinzelt noch sehen.
Selbst die Zugvögel, die jetzt noch hier sind, bleiben ein bisschen länger, solange ihnen die Sonne aufs Gefieder scheint. ,,Kraniche zum Beispiel ziehen vor der Schlechtwetterfront her'', sagt Korn. ,,Solange es hier noch warm ist, haben sie keinen Grund, in den Süden zu fliegen.''
Meteorologe Rainer Krüger warnt vor möglichen negativen Folgen des zweiten Frühlings: ,,Auch Pflanzen haben eine innere Uhr. Jede Abweichung vom normalen Verlauf ist eine Störung.'' So könnten Winterweizen und -roggen nur langsam die nötige Kälteresistenz für den Winter entwickeln.
Auch wenn in diesem Jahr die Temperaturen im letzten Oktoberdrittel wärmer sind als im Langzeitdurchschnitt, hält Ansgar Engel vom DWD die derzeitige Wetterlage nicht für ungewöhnlich.
Erst wenn sich solche Ereignisse wiederholten, könne man tatsächlich von den Auswirkungen des Klimawandels sprechen. ,,Die Ausnahmen häufen sich'', sagt dagegen Christine Margraf vom Bund Naturschutz.
Sie befürchtet, dass sich der Wintereinbruch immer weiter nach hinten verschieben könnte. ,,In den bayerischen Skigebieten kriegen viele Panik, weil zu wenig Schnee fällt.'' Immer mehr Schneekanonen und andere Eingriffe in die Natur seien die Folge.
Gute Laune durch geringen Blutdruck
Dass es an diesem Donnerstag sonnig und warm wird, ist Engel zufolge sicher. Und das hebt die Laune. ,,Frühlingsgefühle ist ein gutes Stichwort'', sagt Jörg Reichert, Arzt am Institut für Arbeits- und Umweltmedizin der LMU München. Die Wärme senke den Blutdruck und steigere das Wohlbefinden, die Heuschnupfengefahr hält er für gering. Die Erkältungsgefahr sei allerdings groß: ,,Die Wärme ist trügerisch, denn abends wird es eiskalt.''