"Die Kraft des Widerspruchs" - unter diesem etwas pathetischen Motto steht in diesem Jahr die Weltmeisterschaft der studentischen Debattierclubs. Vom 27. Dezember bis zum 4. Januar treten in Berlin rund 1400 Teilnehmer aus 82 Ländern gegeneinander an. Die Disziplin heißt: schöner streiten. Es ist eine Premiere, die WM ist die erste dieser Art in Deutschland.
Die Idee, das Debattieren als sportlichen Wettkampf auszurichten, stammt aus Großbritannien, im 19. Jahrhundert wurden dort an den Universitäten in Oxford und Cambridge erste Clubs gegründet. Auch in den USA ist die streng geregelte Form des Streitens inzwischen weit verbreitet und steht mitunter schon in der Schule auf dem Stundenplan.
In Deutschland hingegen existiert das organisierte, studentische Debattieren noch nicht lange. Erst 1991 gründeten Tübinger Studenten einen ersten Club. Doch die Szene ist schnell gewachsen. "Etwa 60 Vereine gibt es mittlerweile, an jedem größeren Hochschulstandort", sagt Patrick Ehmann. Das Mitglied der Berlin Debating Union ist der Cheforganisator der diesjährigen Weltmeisterschaft.
Das Los entscheidet
Statt um emotional aufgeladene Kämpfe um die vermeintlich einzig richtige Weltanschauung geht es beim Debattieren um den ausgewogenen Meinungsaustausch. Die Teilnehmer treten in Zweierteams gegeneinander an, jeder hat sieben Minuten Redezeit. Danach entscheidet eine Jury, wer am besten argumentiert hat. Nur 15 Minuten Vorbereitungszeit bleiben den Teams, um sich eine Strategie zu überlegen. Und: Wer welche Position zu einem Thema vertritt, wird per Los entschieden. Man argumentiert also nicht immer für die Meinung, die man auch privat vertritt.
"So paradox das klingt: Das Zulosen der Positionen verschafft Freiheit", meint Patrick Ehmann. "Alle Beteiligten wissen, dass man dort nicht notwendigerweise seine persönliche Meinung verteidigt, deshalb kann man ganz präzise an ein Thema rangehen und gut analysieren." Denn darum geht es: immer zwei Seiten eines komplexen Problems zu akzeptieren. "Debattierer sind typischerweise keine verbohrten Ideologen oder Fundamentalisten und haben entsprechend auch die Fähigkeit, andere Positionen zu sehen", sagt Ehmann.
Auch wenn bei den Wettkämpfen der sportliche Aspekt im Vordergrund steht, soll Debattieren mehr sein als eine formale Übung, sachlich, analytisch und rhetorisch überzeugend zu sein. Die Teilnehmer sollen auch inhaltlich etwas mitnehmen. "Bei einigen Themen, zu denen ich vorher keine Meinung oder nur eine schwach ausgeprägte hatte, kann ich nun sagen, was ich richtig finde, weil ich eben von beiden Seiten tief in die Materie eingedrungen bin", sagt der Cheforganisator der WM.
Streiten lässt sich über jedes Thema, für das es ein Für und Wider gibt. Der Debattierclub der Universität Münster, zum Beispiel, hat auf seiner Webseite die Themen seiner wöchentlichen Treffen gesammelt. Darunter sind auch Gaga-Fragen, wie die, ob man die Zahl Sieben abschaffen oder den Weihnachtsmann verstaatlichen solle, aber die Mehrzahl dreht sich um reale politische und gesellschaftliche Diskussionen: Burka-Verbot in Deutschland, Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger, Finanzhilfen für Griechenland.
Worauf es in der Debatte dann ankommt, erklärt Patrick Ehmann am Beispiel Atomkraft, auch ein beliebtes Thema - und ein besonders gutes bei einer Weltmeisterschaft, weil die verschiedenen Länder ganz unterschiedliche Positionen und Argumente vertreten. "Erst einmal muss natürlich die Sachdarstellung richtig sein. Aber das Wesentliche ist, dass daraus eine gute Analyse folgt", sagt Ehmann. "Es reicht nicht, zu sagen, dass es in der Vergangenheit Atomkraftwerke gab, die in die Luft geflogen sind, wie Tschernobyl. Man muss erklären, welche Faktoren dafür eine Rolle gespielt haben und dann daraus folgern, ob diese auch in Zukunft für weitere Atomkraftwerke gefährlich sind - oder eben nicht, weil man diese Faktoren ausschalten kann."
Zeitunglesen von Vorteil
Die Analyse ist entscheidend, aber auch ihre Verpackung. Wer seine Argumente rhetorisch brillant präsentiert, hat Chancen, von der Jury zum Sieger gekürt zu werden. "Leute, die weit vorne sind, sind normalerweise diejenigen, die viele Zeitungen lesen und Nachrichten schauen", sagt Ehmann. Letztlich könne aber jeder, der reden kann, auch ein Debattierer werden.
Bei aller Gesinnungsferne wollen die Debattierer die Welt aber auch ein bisschen besser machen. Deshalb "Die Kraft des Widerspruchs" als Motto. Gerade bei Weltmeisterschaften treffen Leute aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten aufeinander, die Auseinandersetzung soll also auch den persönlichen Horizont erweitern. Neben Studenten aus Demokratien treten auch welche aus Ländern wie Myanmar, Tadschikistan, China und Simbabwe an, wo die freie Meinungsäußerung nicht uneingeschränkt möglich ist. Mit Rücksicht auf diese Teilnehmer werde, anders als sonst, bei der WM nicht jedes heikle Thema angesprochen, sagt Ehmann: "Das Debattieren soll einfach die Fähigkeit zum Widerspruch schulen - und das ist etwas, das auch zu einem langsamen Wandel beitragen kann."
Alle Runden der Weltmeisterschaft im Debattieren, die im Hauptgebäude der Technischen Universität Berlin ausgetragen werden, sind für Zuschauer offen und kostenlos. Für das Finale am 3. Januar um 17 Uhr im Maritim Hotel Berlin sollte man sich anmelden. Details unter wudcberlin.com .