Washington:Häufchen für die Ewigkeit

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Um den alten Friedhof des Kongresses vor dem Verfall zu retten, dürfen gegen Gebühr Hunde dort tun, was sie wollen.

Von Tobias Matern

Washington - Vor ein paar Jahren hielt ein Auto direkt vor dem Grab von J. Edgar Hoover. Ein Mann kletterte heraus, schaute kurz um sich und pinkelte sodann auf die letzte Ruhestätte des zu Lebzeiten gefürchteten und berüchtigten Chefs des FBI. Einer der ehrenamtlichen Wärter von Washingtons Kongressfriedhof schildert diese Szene. Verwundert ist er nicht. "Hoover hatte eben viele Feinde", sagt der Mann und zuckt mit den Schultern.

Das Grab des einst machtvollen FBI-Chefs J. Edgar Hoover ist eines von 60.000 auf dem historischen Kongress-Friedhof von Washington; Hunde schätzen seine Ruhestätte sehr. (Foto: Foto: Tobias Matern)

Es sind auf diesem Friedhof an der E-Street nicht nur Zwei-, sondern vor allem Vierbeiner, die ihr Geschäft dort gern verrichten. Und das gegen Gebühr. 220 Hundebesitzer aus dem angrenzenden, dicht besiedelten Stadtteil Capitol Hill zahlen eine Mindestgebühr von 165 Dollar pro Jahr. Dafür erhalten sie neben der Erlaubnis, ihre Tiere ohne Leine auf dem mehr als 130 Quadratkilometer großen Anwesen auszuführen, eine von der Steuer absetzbare Spendenquittung.

Kurz nach 17 Uhr, wenn auch in den Büros von Washington die Griffel fallen gelassen werden, setzt auf dem Kongressfriedhof tierischer Hochbetrieb ein. Stöckchen und Bälle fliegen über Gräber. Hechelnde Hunde flitzen im Slalom zwischen den Grabreihen ehemaliger Senatoren hindurch. Auch vorbei an dem von Elbridge Gerry, einem der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung und bis zu seinem Tod im Jahre 1814 Vizepräsident der USA. Er ist einer von 60000 Toten, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

"Meine Freunde halten mich für ein bisschen verrückt, dass ich jeden Tag auf einen Friedhof gehe, um meinen Hund auszuführen", sagt Harold Peek. Die Würde der Toten sieht er dadurch aber überhaupt nicht berührt. "Wir Hundebesitzer haben Respekt vor den Toten. Jeder strengt sich an, hinter seinem Tier sauber zu machen", sagt er. Tatsächlich ist jedes Herrchen neben einer Leine mit einer Tüte ausgerüstet, welche die Hinterlassenschaften aufnehmen soll.

Es fällt auf, dass vor allem Hoovers Grab eine magische Anziehungskraft auf die Duftmarkensetzer auszuüben scheint. Innerhalb von einer halben Stunde kann man vier Hunde ihr Bein an dem Grab des Mannes heben sehen, der in einer wohl einmalig langen Amtszeit von 1924 bis zu seinem Tod 1972 machtvoll die amerikanische Bundespolizei führte.

Der Friedhofsverwalter Bill Fecke sagt, es komme eher selten vor, dass er aufgebrachte Familienangehörige besänftigen müsse. Denn als schlagendes Argument kann er das Geld anführen. Die Hundebesitzer brächten, sagt Fecke, in jedem Jahr Einnahmen von mehr als 50.000 Dollar für den Friedhof. Und diese Summe reicht gerade einmal aus, um das Gras zu mähen. Aber nicht einmal diese Minimalpflege war immer sicher.

Der Friedhof, den der amerikanische Kongress 1807 gegründet hat und der später in Kirchenbesitz kam, fiel irgendwann der Verwahrlosung anheim. Es fehlte an Geld, und die wenig attraktive Lage direkt neben einem Gefängnis machte das Gelände zu einem Stück Niemandsland. Es wurde zum Spielplatz jugendlicher Vandalen, die in jeder Woche bis zu 200 Grabsteine umstießen. Außerdem florierten im dichten Gestrüpp Drogenhandel und Prostitution.

Doch damit ist Schluss, seit ein Verein zur Erhaltung der historischen Ruhestätte zum Kampf gegen deren Verfall rüstet. Bill Fecke ist die einzige bezahlte Kraft, aber rund 20 Freiwillige investieren einen großen Teil ihrer Freizeit, um den historischen Congressional Cemetery in Stand zu halten. Dabei entstand auch die Idee, den Friedhof als Hundepark nutzen zu lassen. "Die ersten Leute kommen morgens gegen fünf Uhr, um ihre Hunde auszuführen, die letzten sind hier noch lange nach Mitternacht", sagt Fecke: "Das illegale Treiben ist seitdem fast auf dem Nullpunkt."

Bill Mayer, der seinen Berner Sennenhund Jackson ausführt, war zunächst noch skeptisch, als er von dem Friedhof hörte: "Vor allem am Anfang habe ich mich gefragt, ob es mir gefallen würde, wenn mir ein Hund auf mein Grab pinkelt", sagt er. Inzwischen hat er sich aber selbst die Antwort gegeben: "Ich hätte nichts dagegen, wenn mir ein Hund auf mein Grab pinkelt. Es ist eine faire Gegenleistung, wenn dadurch die Kriminalität eingeschränkt werden kann."

Auch der Kongress der Vereinigten Staaten ist wieder auf seinen ehemals so schmählich vergessenen Friedhof aufmerksam geworden. Finanzspritzen und Darlehen fließen - wenn auch noch spärlich. Doch die ersten Stimmen werden laut, man könne die Hunde ja wieder aussperren, wenn genug staatliche Unterstützung in die Kassen gespült würde.

Davon hält Friedhofsverwalter Fecke nichts. Er sagt: "Die Hundebesitzer waren hier, als niemand mehr an den Friedhof geglaubt hat, und sie haben durch ihre Beiträge die Instandsetzung in Gang gesetzt. Es wäre sehr ungerecht, sie wieder rauszuwerfen."

Es sieht ganz so aus, als müsse J. Edgar Hoover auch in Zukunft mit unerwünschten Besuchern an seinem Grab rechnen.

© SZ vom 7./8.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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