Vogelgrippe:Massentötung auf Verdacht

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Im Kampf gegen die Vogelgrippe erregen Rumäniens Behörden mit rigorosen Notschlachtungen den Zorn der Bauern im Donaudelta.

Kathrin Lauer

Florin blickt düster auf den Fernseher, der auch an diesem Morgen in dem Lokal an einer Landstraßenkreuzung vor sich hin dröhnt und viele Berichte über das große Schlachten bringt. Soll der 27-Jährige versuchen, doch noch nach Hause zu kommen? Sich drei Kilometer durch Wiesen und Felder durchschmuggeln nach Ceamurlia de Jos, dem Ort nahe dem rumänischen Donaudelta, der seit zwei Tagen hermetisch abgeriegelt ist, weil er Herd der ersten Vogelgrippe-Infektion in Europa sein soll?

Die rumänischen Behörden gehen mit Schlachtungen gegen die Gefahr vor. (Foto: Foto: dpa)

Querstehende Feuerwehrautos blockieren die Ortseingänge, je vier Polizisten stehen Wache. Florin argwöhnt, dass Polizisten auch die grüne Dorfgrenze im Auge behalten. Kurz vor Ausrufung der Quarantäne hatte er es noch geschafft, an seinen Arbeitsplatz als Koch in dem Lokal an der Wegkreuzung zu kommen.

100 Euro im Monat

Er kann nicht blau machen, denn er ist der einzige Verdiener in seiner Familie; er muss seine Frau, die 14 Monate alte Tochter und seine Schwiegereltern ernähren. Umgerechnet 100 Euro bringt Florin im Monat nach Hause - das ist ein Drittel weniger als der rumänische Durchschnittslohn. Jetzt will die Polizei auch noch die 140 Gänse, Enten und Hühner notschlachten, die die Familie im wörtlichen Sinn ernähren. Dabei hatte Florin gerade seiner Entenschar beigebracht, allein den Weg zum nahen Golovita-See zu finden und abends wieder zurück.

Wie dem 27-Jährigen geht es nun auch den 1300 Einwohnern seines Dorfes, in dem fast jeder zweite Erwachsene von der Sozialhilfe lebt. Am vergangenen Freitag wurden dort die drei toten Enten gefunden, die mit dem Vogelgrippe-Virus infiziert gewesen sein sollen.

Rumänische Experten fanden entsprechende Antikörper, doch nur ein weiterer Test in einem Speziallabor in London kann Gewissheit bringen, ob es sich um das gefährliche Virus H5N1 handelt, das in Ostasien ein Massensterben bei Geflügel ausgelöst und auch Dutzende Menschen getötet hatte.

Es kann sich aber genauso gut um eines der harmlosen Erkältungsviren handeln, die man in Ceamurlia bislang beim Federvieh auszukurieren pflegte: Eine Zehe Knoblauch, in vier Stücke zerteilt, kam in die Schnäbel, und die Viecher seien gesundet, erzählt Florin.

Aufstand der Bauern

Am zweiten Tag der Notschlachtungen gab es einen Aufstand in Ceamurlia. Die Bauern ließen die Polizisten nicht in ihre Hühnerställe, wütend drohten sie mit Äxten und Heugabeln. Doch am Montag ging das Schlachten durch die Spezialisten vom staatlichen Veterinäramt weiter.

Die restlichen 15000 von insgesamt 45000 Tieren mussten dran glauben. Umgerechnet zwei Euro pro Kilo Lebendgewicht soll es als Entschädigung geben. Rumänien macht, wie die EU-Behörden jüngst lobten, offensichtlich Ernst mit dem Versprechen, von vornherein so zu handeln, als liege der Ernstfall vor.

Immerhin ist das als Vogelparadies berühmte Donaudelta Überwinterungsort für sechs Wildgans- und Wildentenarten. Einige kommen aus Ostasien, möglicherweise aus den dortigen Vogelgrippegebieten. Ob sie bleiben, oder weiter nach Süden ziehen, hängt davon ab, wie kalt der Winter ist, sagt Janos Kiss, Direktor des Donaudelta-Forschungsinstituts in der Kreishauptstadt Tulcea.

Klimawandel lockt neue Tiere

In den vergangenen Jahren sei - wohl durch die Klimaveränderung - ein weiterer Wintergast hinzugekommen: Viele Rothalsgänse flögen jetzt im Herbst nicht mehr bis nach Ägypten, sondern blieben im Delta, so Kiss.

Fast jede Familie in Cearmulia hält sich 80, viele sogar bis zu 200 freilaufende Hühner, Puten, Enten und Gänse. Einige verkaufen die Vögel, die meisten essen sie selber. Bei Florin gibt es zu Weihnachten Gänsebraten, die Enten werden im Sommer gegessen, wenn es Gemüse gibt für die in Rumänien traditionelle "Ente auf Kraut".

Florin glaubt nicht, dass der Staat die versprochenen Entschädigungen für notgeschlachtete Tiere auszahlen wird. Er wird sich nach Hause wagen, illegal an der Polizei vorbei, "wie im Krimi", wie er sagt. Er will wenigstens dabei sein, wenn sie seinen Stall leermachen.

(SZ vom 12.10.2005)

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