Nachstellung der Völkerschlacht bei Leipzig:Vater zieht in den Krieg

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200 Jahre Völkerschlacht: Darsteller in der Uniform eines französischen Infanterie-Regiments in Leipzig-Liebertwolkwitz (Foto: dpa)

Wenn er nicht fällt, wird er gefangen genommen: Mein Vater zieht heute in den Kampf - als Verbündeter Napoleons. Er ist einer von Tausenden, die die Völkerschlacht bei Leipzig nachstellen. Seit vielen Jahren fährt er durch die Republik, um an historischen Schlachten teilzunehmen. Nicht aus Nostalgie.

Von Antonie Rietzschel

Mein Vater zieht an diesem Sonntag in den Krieg. Doch schon vor Beginn der Schlacht ist klar, dass er am Ende des Tages nicht auf der Seite der Sieger stehen wird. Mein 58-jähriger Vater ist Musketier des Königlich Sächsischen Infanterie-Regimentes "Prinz Maximilian" und gehört damit zu den Verbündeten Napoleons. Wenn er nicht fällt, so wird er gefangen genommen - entweder von Preußen, Russen, Österreichern oder Schweden.

Doch meinem Vater geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Es geht ihm darum Geschichte zu (er)leben. Deswegen ist er zwei Tage zuvor von Dresden aus in die Nähe von Leipzig gefahren. Dorthin, wo zwischen dem 16. und 18. Oktober 1813 die Völkerschlacht geschlagen wurde. Er, der im wirklichen Leben als Bauingenieur arbeitet, ist an diesem Wochenende einer von 6000 Darstellern, die so tun als sei Krieg.

Sterben wird an diesem Tag wohl niemand. Die Unannehmlichkeiten, unter denen mein Vater leidet, sind überschaubar: Er schläft in einem Zelt, das lediglich aus Holzstangen und dünnem Stoff besteht, liegt auf einer Matratze aus Stroh und wurde um 6.45 Uhr mit Trommelwirbel geweckt. Und dann ist da noch das straffe Programm. Als ich meinen Vater einen Tag vor der Schlacht auf seinem Handy erreiche und frage wie es ihm geht, erklärt er mit ernster Stimme: "Ich habe keine Zeit, ich muss noch meine Patronen drehen. Später wird exerziert."

Völkerschlachtjubiläum: Als Napoleon Bonaparte (rechts) und Friedrich August III. Kurfürst und König von Sachsen verkleidete Darsteller 2013 bei Leipzig (Foto: dpa)

Ich muss über solche Sätze nicht mehr lachen - sie sind für mich normal. Denn mein Vater ist seit acht Jahren Hobbysoldat. Er fährt kreuz und quer durch die Republik, um an historischen Schlachten teilzunehmen.

Mein Vater ist dabei keineswegs Nostalgiker, Ereignisse wie das Nachstellen der Völkerschlacht sind für ihn kein Kostümfest. Seit Monaten verschlingt er Geschichtsbücher. Die vielen Neuerscheinungen, die anlässlich des Jubiläums herausgegeben wurden - aber auch dicke Schinken aus dem 19. Jahrhundert in altdeutscher Schrift, die er im Internet ersteigert hat. Doch Geschichte zu lesen reicht ihm nicht. "Sie zu erleben und für andere erlebbar zu machen, ist etwas völlig anderes", sagt er.

Im Nachbardorf fing alles an

2005 fing alles an. Ich hatte gerade mein Abitur gemacht und lebte noch zu Hause. Heißt: Drei-Seiten-Hof in einem Dorf mit 36 Einwohnern. Unser Nachbardorf Maxen sollte in diesem Jahr sein 750. Jubiläum feiern, ein großes Fest. Mein Vater hatte gemeinsam mit dem Heimatverein die Idee, die Schlacht bei Maxen nachzustellen, bei der am 20. November 1759 die Preußen gegen die Österreicher verloren hatten. Der preußische General von Finck wurde nach seiner Kapitulation gefangen genommen. Die Niederlage war eine Schmach für Friedrich den Großen.

Das wollte mein Vater nachspielen. Er machte eine spezielle Ausbildung, damit er mit Schwarzpulver hantieren konnte. Nur er durfte die extra angeschaffte Kanone abfeuern. Das tat er auch desöfteren in unserem Garten - was meine Mutter bei jedem Rumms zusammenfahren ließ. Ich erinnere mich auch noch an eine Probe, bei der die Pferde an den Knall gewöhnt werden sollten: Der Darsteller des General von Finck fiel aus dem Sattel, weil sein Roß vor Schreck zur Seite sprang - die anderen Pferde rannten panisch davon. Kein guter Start.

Die Uniformen für die Soldaten nähten deren Frauen. Sie waren sehr bunt - viel zu bunt, wie sich später herausstellen sollte. Die Dreispitze stammten aus einem Katalog für Faschingskostüme und die Regimentsflaggen waren aus Plastik. Den Zuschauern war das egal, sie kamen sogar aus Dresden, um sich erst die Schlacht und anschließend den Umzug anzusehen. Die Pferde zuckten beim ersten Knall nur kurz zusammen. Das Fest wurde ein Erfolg.

Doch dann besuchten die Preußen aus Maxen ein Biwak, eine Art historisches Zeltlager der Regimenter dieser Zeit. Dort gab es einen Dämpfer für meinen Vater und seine "Kerls": Sie sähen aus wie ein Karnevalsverein, erklärten die anderen Soldaten. Das konnte mein Vater nicht auf sich sitzen lassen. Aus England bestellte der Heimatverein schwere Wollstoffe in Originalfarben. Studenten der Kunsthochschule in Dresden nähten daraus Uniformen nach genauen Vorlagen. Das Regiment meines Vaters bekam echte Musketen und Säbel.

Feuergefechte auf der Dorfstraße

Als sich die Schlacht 2009 zum 250. Mal jährte, veranstaltete Maxen ein eigenes Biwak - aus ganz Deutschland, aber auch Polen und Tschechien kamen Regimenter zusammen. Die Dorfbewohner wurden mit krachenden Kanonenschüssen geweckt. Zwischen Gasthof und dem Feuerwehrhaus richteten die Soldaten ihre Musketen aufeinander - weißer Rauch zog durch die Straßen.

Mein Vater spielte den General Finck. Er trug einen blauen Uniformrock mit rot-goldenen Aufschlägen. Den Dreispitz zierten weiche, weiße Federn. Stattlich sah er aus. Mein Vater, der sonst immer etwas gebeugt geht, stand in seiner Rolle als General breitbeinig und aufrecht vor seinen Soldaten. Mit lauter Stimme gab er Befehle. "Anlegen", "Feuer". Für mich war er in dieser Zeit kaum ansprechbar. Jede Erinnerung an die Gegenwart schien ihn zu stören. Deswegen schlief er wohl auch im Zelt, obwohl er nach Hause nur zehn Minuten zu Fuß gebraucht hätte.

Für die Völkerschlacht hat er jetzt die Seiten gewechselt. Mein Vater marschiert bei Leipzig nun als "Mehlsack" auf. So nannte man früher die Soldaten des sächsischen Regiments wegen ihrer weiß-gelben Uniform. Es gebe genügend Preußen, so begründete mein Vater seine Entscheidung. Ob er fallen wird, frage ich ihn am Telefon. "Das kommt auf die Choreografie an", sagt er.

Dann legt er auf. Er hat keine Zeit für die Realität.

Linktipp: Der Sender MDR-Figaro schildert in einer mehrteiligen Serie den Alltag der Völkerschlacht.

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