Vierfachmord von Eislingen:Dreißig Schüsse für die Familie

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Habgier, komplexe Vater-Sohn-Beziehung oder pure "Abenteuerlust"? Andreas H., 18 Jahre alt, soll seine Familie kaltblütig erschossen haben. Nun hat in Ulm der Prozess begonnen.

Es traf seine gesamte Familie. Dreißig Schüsse für vier Menschen. Zuerst starben die beiden Schwestern, dann die Eltern. Am Montagnachmittag hat der Prozess gegen Andreas H, 18 Jahre alt, vor dem Landgericht Ulm unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Gemeinsam mit einem Schulfreund soll er seine Familie hingerichtet haben.

Vor dem Landgericht Ulm hat am Montag der Prozess gegen Andreas H. und Frederik B. begonnen. (Foto: Foto: ddp)

Fast auf den Tag genau ein halbes Jahr ist die Bluttat von Eislingen nun her. Zum Prozessauftakt erschienen die beiden Angeklagten in Kapuzenpullovern vor Gericht. Der Freund des Sohnes hatte die Kapuze über den Kopf gezogen und die Arme vor dem Bauch verschränkt. Nur einen kurzen Blick wechselte er mit seinen im Gerichtssaal anwesenden Eltern.

Die Verteidiger kündigten ein Geständnis der Schüler an. Über ihr Motiv wird noch immer gerätselt. Nun machte sich auch das Gericht auf die Suche nach Antworten. Nach Antworten auf die Frage, wie aus Andreas H., und Frederik B., 19, mutmaßliche Vierfach-Mörder werden konnten. "Arbeitsteilig"' sollen sie geschossen haben, so steht es in der Anklage, die am Montag verlesen wurde.

Der Mord machte Andreas H. zum Alleinerben

Die Staatsanwaltschaft spricht von einem heimtückischen Mord aus Habgier. Andreas H. soll von seinen Eltern die Vollmacht für ein Konto mit einem sechsstelligen Guthaben erhalten haben. Um an das Geld zu kommen, brauchte er die Unterschriften seiner Schwestern. Der Mord machte ihn zum Alleinerben. Dazu passt auch, dass die Polizei in dem Erdloch, in dem auch die Tatwaffen lagen, einen Wunschzettel gefunden hat. Mittäter Frederik B., 19, hatte darauf notiert, was er sich kaufen würde, wenn er Geld hätte.

In der Nacht zum Karfreitag zog er mit Andreas H. los, so scheint es zumindest, um sich dieses Geld zu holen. Bei ihrer Tat gingen die beiden Schüler laut Staatsanwaltschaft äußerst planvoll vor. Zuerst erschossen sie die beiden Schwestern, Annemarie und Ann-Christin, 22 und 24 Jahre alt. Dann besuchten sie die ahnungslosen Eltern in einer Gaststätte. Dort saßen sie dann alle an einem Tisch - wie eine scheinbar normale Familie: Der Vater, die Mutter, ihr Sohn und sein Kumpel.

Es wirkte wie ein gewöhnliches Beisammensein, die anderen Gäste des Lokals im baden-württembergischen Eislingen konnten keine Auffälligkeiten berichten. Der Sohn Andreas und Frederik verabschiedeten sich schließlich, und gegen 0.30 Uhr ging auch das Ehepaar H. nach Hause. Dort warteten Andreas und Frederik im Flur und eröffneten das Feuer. Die Pistolen, die sie Wochen zuvor aus dem Vereinsheim der Schützengilde Eislingen gestohlen hatten, sollen sie in aufgeschnittene Plastikflaschen gesteckt haben - damit es nicht so laut wird.

Am Morgen des 10. April rief Andreas H. beim Roten Kreuz an und meldete, seine Familie zu Hause tot aufgefunden zu haben. Doch widersprüchliche Alibis und Schmauchspuren machten die beiden Freunde schnell verdächtig. Frederik gestand schließlich: "Wir waren das zusammen" - und führte die Ermittler zu einem Versteck im Wald, wo die Tatwaffen und auch der Wunschzettel vergraben lagen. An den Pistolen fanden sich DNS-Spuren der beiden Schüler.

Die beiden Tatverdächtigen sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Bislang behauptet der 18-jährige Andreas, zwar an der Tat beteiligt gewesen zu sein, aber nicht geschossen zu haben. Frederik H. habe bei seiner Vernehmung einen "betroffenen Eindruck gemacht", sagte die Polizei. Andreas H. hingegen habe gar nichts gesagt. Nun, kurz vor dem Prozess, hat er zum ersten Mal Reue gezeigt. "Das Schlimmste ist, dass ich meinen Vater so vermisse", sagte der Gymnasiast in einer Erklärung, die sein Anwalt Hans Steffan der Bild am Sonntag übermittelte.

In der komplexen Vater-Sohn-Beziehung und der Isolierung des Sohnes innerhalb der Familie liegt nach Ansicht des Verteidigers auch der Schlüssel zum Verbrechen. "Andreas hat der Respekt, die Zuneigung und die Solidarität der Familie gefehlt", sagte Hans Steffan. Der Vater soll autoritär und dominant gewesen sein, die Familie nur nach außen intakt. Der 18-Jährige soll bereits seit längerem überlegt haben, von zu Hause auszuziehen. Die Eltern wollten ihm in diesem Fall dann nur noch die gesetzlich vorgeschriebene Summe zahlen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der Halbbruder des erschossen Vaters zu dem Familiendrama sagt.

"Ob dabei eine psychische Erkrankung eine Rolle spielte, kann ich nicht beurteilen, das wird derzeit untersucht", sagte Steffan. Habgier als Motiv schloss er im Widerspruch zur Staatsanwaltschaft dagegen aus. Auch die Eltern von Frederik B., die sich jetzt erstmals im Interview mit dem Stern zu Wort gemeldet haben, sprachen sich gegen materielle Probleme als Motiv für die Tat aus. "Frederik hat es nie an etwas gefehlt, das hat er uns auch jetzt im Gefängnis bestätigt", sagte Manfred B.

Auch pure "Abenteuerlust" könnte ein Motiv sein

Doch wenn Andreas seine Familie wirklich aus Verbitterung getötet hat, warum machte Frederik dann bei diesem Wahnsinn mit? Seit drei Jahren sollen die beiden befreundet gewesen sein. Frederiks Mutter beschreibt die Freundschaft als innig, eine homosexuelle Beziehung schließt sie aber aus. Vielmehr war der schüchterne Frederik bis dahin isoliert. Andreas H. soll der Tonangebende gewesen sein, ein recht gutaussehender junger Mann.

Im vergangenen Jahr schloss er die Realschule mit einem Preis ab und wechselte auf ein Wirtschaftsgymnasium, Frederik ging dort in die Parallelklasse. Gemeinsam brachen die beiden in Supermärkte und Vereinsheime ein, und wurden immer kühner, glaubt Anwalt Steffan. Demnach könnte auch pure "Abenteuerlust" ein Motiv sein.

Frederik B. habe vor allem deshalb mitgemacht, weil er glaubte, dies aus Freundschaft zu Andreas H. tun zu müssen, glaubt sein Verteidiger Klaus Schulz. Die Beurteilung des Motivs wird wohl entscheidend für das Strafmaß sein. Die Richter werden außerdem entscheiden müssen, ob die beiden nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Nach dem Jugendstrafrecht drohen ihnen höchstens zehn Jahre.

Der Halbbruder des erschossen Vaters ist Nebenkläger

Der Prozess vor dem Landgericht Ulm wurde am Montag nach dem Verlesen der Anklageschrift auf Donnerstag vertagt. Das Gericht hatte zum ersten Verhandlungstag am Montag nur neun Medienvertreter zugelassen, weil die Täter zum Zeitpunkt der Diebstähle noch minderjährig waren.

Zu Beginn des Prozesses beantragte Andreas H., die Öffentlichkeit ausnahmslos auszuschließen. Die Richter haben den Antrag jedoch nach kurzer Beratung abgewiesen.

Auch Verwandte hatten nur begrenzt Zugang zum Gerichtssaal. Der Halbbruder des erschossen Vaters trat als Nebenkläger auf. Er wolle die Hintergründe der Tat erfahren, sagte er nach der Verhandlung am Montag. "Es regt mich auf, wenn die Kerle da drin sitzen wie die Lämmle und killen dann vier Stück." Ein Urteil soll am 27. Januar fallen.

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