Verhungerte Lea-Sophie:"Es gab auch einen Horror-Vater"

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Die Großeltern der in Schwerin verhungerten Lea-Sophie haben sich an die Presse gewandt, um ihre Tochter zu verteidigen. Auch Behörden und Politik streiten um die Schuldfrage.

Die Großeltern der verhungerten Lea-Sophie aus Schwerin haben sich bereits vor einem Jahr an das Jugendamt gewandt. Sie hätten bemerkt, dass ihre Tochter mit der Erziehung überfordert gewesen sei, erzählten Gertrud und Norbert G. der Bild am Sonntag zufolge.

Die Mutter der verhungerten Lea-Sophie bei ihrer Verhaftung (Foto: Foto: ddp)

Der Tod von Lea-Sophie habe nichts damit zu tun, dass ihre Mutter und der Freund arbeitslos und Hartz-IV-Empfänger seien. Die Tochter habe ihre Ausbildung zur Bürokauffrau abgebrochen, als sie mit dem Mädchen schwanger war. "Sie waren einfach überfordert und haben nicht rechtzeitig um Hilfe geschrien."

Großvater: Nicole brauchte Hilfe

"Anfang November vergangenen Jahres bin ich deshalb zum Jugendamt gegangen und habe mich um eine Familienhilfe und einen Kita-Platz für Lea-Sophie bemüht", sagte demnach der Großvater. Im Sommer - der Kontakt zur Familie der Tochter war inzwischen abgebrochen - habe er ein zweites Mal die Behörde kontaktiert.

Er sei dort gefragt worden, ob das Wohl des Mädchens gefährdet sei. In diesem Fall würde die Polizei eingeschaltet, habe ihm der Sachbearbeiter gesagt. "Ich wollte aber keine Gewalt, sondern nur deutlich machen, dass Nicole und Stefan Hilfe bei der Erziehung bräuchten", sagte Norbert G.

Die Großeltern sahen Lea-Sophie zuletzt im Juni. Damals habe sie 13 Kilo gewogen. Für ein ehemaliges Frühchen - das Kind war im siebten Monat zur Welt gekommen - sei ihr das normal erschienen, erklärte die Großmutter.

Die junge Familie habe in der ersten Zeit nach Lea-Sophies Geburt bei ihnen gewohnt, sei später aber, obwohl das Geld knapp gewesen sei, ausgezogen, berichteten die Großeltern. Sie hätten öfter Essen vorbeigebracht, Klöpse mit Mischgemüse. "Manchmal hat sich Lea-Sophie rosa Torte gewünscht", sagte die Großmutter.

"Es gab viel Streit"

Nach Norbert G.s Intervention beim Jugendamt im vergangenen November - das Beratungsangebot des Jugendamtes hatten die jungen Eltern abgelehnt - hätten Nicole und Stefan ihnen gesagt, Lea-Sophie gehe jetzt in den Kindergarten. Doch seien sie misstrauisch geworden, weil sie nie erfahren hätten, um welche Tagesstätte es sich handele, erklärte Norbert G. Nach dem erfolglosen zweiten Besuch in diesem Sommer sei er deshalb die Kindergärten abgefahren in der Hoffnung, Lea-Sophie zu sehen.

Von Juni bis November hätten sie ihre Tochter nur unregelmäßig gesehen, Lea-Sophie gar nicht. "Es gab viel Streit", wird der Großvater in der Bild am Sonntag zitiert. Wenige Tage vor dem Tod des Mädchens sei die junge Familie noch mal bei ihnen gewesen - ohne Lea-Sophie.

"Sie wollten sie anschließend aus dem Kindergarten abholen, sagten sie uns." Mit dem Interview wollten sie etwas Schuld von ihrer Tochter nehmen. "Sie ist jetzt die Horror-Mutter. Dabei ist sie nicht allein verantwortlich für das, was passiert ist. Es gab auch einen Vater", erklärten Lea-Sophies Großeltern.

Sie hatten ihre Tochter am Donnerstag in der Untersuchungshaft besucht. Wir haben mehr geweint als geredet. Eine Erklärung für das alles, die wird es eh nie geben", sagte Gertrud G.

Gedenken an Lea-Sophie

Mit hunderten Kerzen, Liedern und Bibeltexten ist am Samstag in Schwerin in einer Andacht an den Hungertod der fünfjährigen Lea-Sophie erinnert worden. Etwa zweihundert Menschen, darunter auch die Großeltern, waren in die evangelische Versöhnungskirche im Stadtteil Lankow gekommen, um des toten Kindes zu gedenken. Vor dem Altar lag ein großes Holzkreuz.

Auch die Stadtspitze und Mecklenburg-Vorpommerns Sozialminister Erwin Sellering (SPD) nahmen an der Feier teil und zündeten Kerzen an. Nach der Andacht sammelten Kirchenmitarbeiter Spenden für den Grabstein des toten Mädchens.

Vorwürfe an das Jugendamt

Die Stadtverwaltung hatte nach eigenen Angaben bislang keine Fehler im Vorgehen der Mitarbeiter des Jugendamtes feststellen können. Sozialminister Sellering kritisierte die Stadt dafür.

"Wenn das Jugendamt zweimal Kontakt mit einer Familie hatte und anschließend ist ein Kind tot - da kann man nicht sagen, man habe alles richtig gemacht", sagte Sellering am Samstag am Rande einer SPD-Veranstaltung in Waren. So ein Fall müsse auch Konsequenzen nach sich ziehen.

Auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) übte Kritik am Schweriner Jugendamts. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Jugendamt vorschriftsmäßig gehandelt hat", sagte die Ministerin der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Oberbürgermeister Norbert Claussen mahnte hingegen, im Fall Lea-Sophie nicht leichtfertig zu urteilen. "Wenn da nichts vorzuwerfen ist, dann kann ich auch nichts vorwerfen", sagte er am Samstag. Es sei wichtig, nicht einen Schuldigen zu suchen, sondern zu erreichen, dass alle Menschen wieder mehr aufeinander achten.

Der Tod Lea-Sophies hatte auch eine bundesweite Diskussion über bisherige Kinder-Vorsorgeuntersuchungen ausgelöst. So kritisierte Niedersachsens Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) das Bundesgesundheitsministerium, weil keine Sonderuntersuchung auf Misshandlungen beim Kinderarzt vorgeschrieben ist.

Von der Leyen beklagte eine mangelnde Verzahnung von Gesundheitsvorsorge und Jugendhilfe. Komme eine Familie der Einladung zu einem Untersuchungstermin nicht nach, müsse sich das Jugendamt einschalten.

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